„Mitarbeiter wollen inspiriert und beflügelt werden“
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, lautet die Devise im Sport. In der Kreativwirtschaft ist das ganz ähnllich. Hier sind aber gewöhnlich die Veranstaltungs-Intervalle etwas länger. Was wiederum den Organisatoren Zeit lässt, Trends zu eruieren und dazu passende Redner – vom Hochschulprofessor bis zur Tiktokerin. Die Planer und Gestalter des 5. Fuldaer Marketingtages rockten den inspirierenden Gig vor allem deshalb, weil sie den Zeitgeist trafen und mit den Referenten eine Punktlandung schafften.
Von Mirko Luis
Das unter der Überschrift stehende „Finden statt suchen – Employer Branding und erfolgreiches Recruiting“ Event-Format lockte am Freitag vor dem ersten November-Wochenende zwischen 130 und 140 Führungskräfte, Firmeninhaber, Entscheider und kreative Macher der dienstleistungsorientierten Branche ins Propsteihaus Petersberg – so viel Teilnehmer hatte es bislang noch nicht gegeben. „Der Wind hat sich gedreht“, verdeutlichte Tino Mickstein (Mainblick – Agentur für Strategie und Kommunikation), Vorsitzender des Vereins Marketing-Netzwerk Region Fulda, dem Veranstalter des Events, gleich zu Beginn. Es bedürfe einer „Kraftanstrengung“ und einer „intelligenten Strategie“, um dem in der Wirtschaft herumgeisternden Gespenst des Fachkräftemangels zu begegnen, sagte er.
Vollbeschäftigung keine Utopie mehr
Mickstein spielte auf das Phänomen an, dass sich Unternehmen mittlerweile um Mitarbeiter bewerben und nicht umgekehrt. Hintergrund hierfür ist , dass die Beschäftigung ein Rekordniveau erreicht hat, Vollbeschäftigung keine Utopie mehr ist und die demographische Entwicklung die mittlerweile hochdigitalisierte Recruiting-Branche pusht: Während sich geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand verabschieden, starten immer junge Menschen in das Berufsleben – das ist in Fulda nicht anders als in Hamburg oder München.
„Social-Media Masterclasses“ als Novum
Mickstein formulierte in seiner kurzen Begrüßungsrede eine der Gretchenfragen. „Wie müssen sich Unternehmen auf einem Unternehmermarkt positionieren?“, lautete diese – mit Fokus auf Maßnahmen, die dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dienen. So standen denn auch praxisnahe Anwendungen, spannende Impulse aus der Wissenschaft und innovative Recruitingkonzepte im Mittelpunkt der Fachtagung, deren zentrales Leitthema jede Menge Gesprächsstoff und Diskussionsbedarf bot.
Das Tagesprogrogramm bot vor allem in den Pausen einmal mehr reichlich Gelegenheit zum Netzwerken, erfrischte aber auch mit einem Novum – den „Social-Media Masterclasses“, die bereits im Vorfeld gut gebucht wurden. Natascha Siefert (Mainblick) referierte über das populäre kalifornische Business-Netzwerk LinkedIn, Peter Michel (PM Online Marketing) nahm das soziale Netzwerk Instagram ins Visier, Sophia Henkel (heldenzeit) verriet Tricks und Kniffe zu TikTok, der vom chinesischen Unternehmen ByteDance betriebenen Trend-App für die junge Generation, und das Medienkontor-Duo Lorena Kremer und Hendrik Urbin widmeten sich der vom US-amerikanischen Unternehmen Meta Platforms betriebenen Plattform Facebook.
Musical-Erfolgsproduzent Peter Scholz: „Wir waren jung und naiv“
Keynote-Sprecher Peter Scholz, einer der beiden Geschäftsführer der Spotlight Musicalproduktion („Bonifatius – Das Musical“, „Elisabeth – Die Legende einer Heiligen“, „Die Päpstin – Das Musical“, „Die Schatzinsel – Das Musical“, „Der Medicus – Das Musical“, „Robin Hood – Das Musical“ und andere), stand TV-Entertainer Thomas Gottschalk, der gern mal die Sendezeit in seiner Kultsendung „Wetten dass …?“ kräftig überzog, in nichts nach. Doch das störte aufgrund des Unterhaltungswertes des mit Authentizität und Spontanität punklenden Impulsvortrages unter der Überschrift „Show must go on – Musicals und Personal“ keinen Anwesenden wirklich im Saal. Der Vortrag war herzerfrischend, mitten aus dem Leben eben, „echt“. Als er vor 18 Jahren mit seinem Geschäftsführer-Kollegen Dennis Martin angefangen habe, sei ihnen ein Privileg zugute gekommen. „Wir waren jung und naiv“, so Scholz. Er sei heute der Meinung, dass man entweder dieses Eigenschaft brauche oder man sehr erfahren sein und ein gutes Team um sich herum haben müsse. „Dazwischen gibt es im Idealfall ein Entwicklung.“ Als er die ersten Darsteller gesucht habe, da habe er nicht einmal gewusst, dass es dafür einen Fachbegriff wie Recruiting gibt, gestand Scholz ein.
Personal-Recruiting mit der 11833
Mit viel mehr als einem Kollegen-Tipp vom Intendanten der Bad Hersfelder Festspiele und der 11833, der Auskunft der Telekom, habe er nicht angefangen. „Klar war nur, dass Dennis Martin und ich nicht selber auf der Bühne stehen werden“, so der Musical-Erfolgsproduzent über die Anfänge. Schauspieler habe man zu Beginn kaum gekannt – deshalb das Telefon. Später kamen Aussschreibungen in Fachzeitschriften und Castings hinzu, zu denen Darsteller gekommen seien, über deren schon vorhandenen Bekanntheitsgrad man sich erst im Nachhinein bewusst gewesen sei. Mit steigendem Erfolg sei die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber im Laufe der Jahre freilich immer größer, das Ensemble immer professioneller geworden. Fulda habe es geschafft, sich als Muscialstadt bundesweit einen Namen zu machen und in der obersten Liga mitzuspielen. Wobei der Anteil von Künstlern auf der Bühne bei lediglich etwa 30 Prozent liege – bei dem Rest der Mannschaft handele es sich um Tontechniker, Bühnentechniker, Kostümpfleger, Büro-Mitarbeiter und andere Berufsgruppen, die im Hintergrund des Musicals-Geschäft die Strippen ziehen. Und hier spüre man natürlich schon, dass die Luft hier dünn wird und Personal dünn gesät bis nicht vorhanden auf dem Markt sei. Grund hierfür sei, dass das Theater- und Musical-Business im Land mittlerweile stark gewachsen sei. Doch Scholz hatte auch eine gute Nachricht mitgebracht. So lohne es sich auf jeden Fall, auf die Leute zu schauen, die schon da seien im Unternehmen. Bei ihnen lägen in jedem Fall Potenziale. Ein kleiner Stab von Leuten herum sei häufig schon in der Lage, 70 Prozent der Aufgaben des Tagesgeschäfts zu erfüllen, wenn die Motivation stimme.
Hälfte der Unternehmen kann Stellen längerfristig nicht besetzen
Seitens der Referenten kam ein wahres Feuerwerk an Ideen für moderne Recruiting-Kampagnen. Prof. Dr. Christian Chlupsa (FOM Hochschule für Oekonomie & Management am Hochschulzentrum München) wies auf den Wunsch nach Selbstverwirklichung und klaren Ziel- und Wertevorstellungen vor allem bei der jungen Generation hin. Er plädiert im Bereich der Mitarbeitersuche für eine stärkere Zusammenarbeit von „Human-Ressource-Management“ und Marketing. Forschungen zeigten, dass im Internet schnell Abneigungen und Aversionen gegen Marken und Unternehmen entstehen könnten. Deshalb seien mehr denn je Galionsfiguren vonnöten – Manager, die sich vor ihr Unternehmen stellen und Mitarbeiter stolz machen, für die eigene Marke zu arbeiten. Unterdessen zeigen aktuelle Zahlen, dass es nicht fünf vor zwölf, sondern eher fünf nach zwölf ist. Chlupsa zufolge fehlen derzeit für 1,5 Millionen Stellen in Deutschland ausgebildete Mitarbeiter. 51 Prozent aller befragten Unternehmen könnten offene Stellen längerfristig nicht besetzen, hätten Umfragen ergeben.
Produktivität eines „inspirierten Mitarbeiters“ liegt bei 225 Prozent
Jörg Schleburg, Gründer der Münchner Agentur „VonVorteil – Die Employer Branding Agentur!“, verdeutliche, dass Talente heutzutage nicht auf gute Werbung, sondern auf gute Arbeitgeber setzen. Deshalb sei Employer Branding – also Maßnahmen, um Arbeitgeber attraktiver zu machen – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Wobei es nicht darum gehe, nur so zu tun, als wäre man ein attraktiver Arbeitgeber – sondern daran arbeite, wirklich einer zu sein. Der Weg lohne. Denn die Produktivität eines Mitarbeiters, der „zufrieden“ mit seinem Unternehmen sei, liege bei 100 Prozent, die eines „engagierten Mitarbeiters“ bei 144 Prozent und die eines „inspirierten“ Mitarbeiters sogar bei 225 Prozent. Eine der wichtigsten Thesen des Experten lautet: „Mitarbeiter wollen nicht gehalten oder gebunden, sondern inspiriert und beflügelt werden.“ Eines der Zauberwörter hierbei laute schlicht „Machen“, um Veränderungsprozesse im Mindset einer Organisation anzustoßen.
Mit nur drei Fähigkeiten sind unzählige Jobs möglich
„Was nicht geboren ist, kann nicht zur Verfügung stehen. Der Fachkräftemangel geht nicht mehr weg“, wies der freiberufliche Recruitiung-Experte Henrik Zaborowski aus Bergisch Gladbach auf den leergefegten Markt für Fachkräfte hin. Arbeitgeber seien diejenigen, die sich Mühe geben müssten, beschrieb er den Paradigmenwechsel. Wobei der vielzitierte Obstkorb für die Beschäftigten nichts nütze, wenn die Führungskultur schlecht sei. Nur über eine gute Führung und Unternehmenskultur ließen sich neue Mitarbeiter gewinnen.
In Unternehmen geredet werden müsse vielmehr über „Top Management“, Entscheidungen zu Personalentwicklungen, Arbeitsbedingungen und Gehälter. Tot sei hingegen das alte Recuiting. „Wer weiter Personal sucht wie in den letzten 30 Jahren, der kann seine Laden bald dicht machen“, warnte der Human Resources (HR) Experte, der unter anderem die Industrie sowie Startups und Wissenschaftler berät. Aus Lebensläufen lasse sich so gut wie nichts herauslesen. So kenne man beispielsweise bei einem Bewerber, der seinen Job in den letzten fünf Jahren drei Mal gewechselt habe, nicht die Hintergründe, die nichts mit seiner fachlichen Qualifikation zu tun haben müssen. Aus der Vergangenheit linear die Zukunft abzuleiten, sei ohnehin vermessen. „Vielleicht hat genau dieser Bewerber, was das Unternehmen braucht“, so der Recruiting-Spezialist.
Gut im Job seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch vier Eigenschaften: Intelligenz, Fähigkeiten, Persönlichkeitseigenschaften sowie Interesse/Leidenschaft. „Fachkenntnisse, die formell noch fehlen, können sich intelligente Bewerber selbst aneignen“, wies Zaborowski auf ein gutes Argument hin, die Türen für Quereinsteiger zu öffnen. Mit nur drei Fähigkeiten seien unzählige Jobs möglich. Wer gut kommunizieren könnem, über soziale Kompetenz verfüge und über Organisationsgeschick verfüge, der könne zum Beispiel als Filialleiter, Lehrer oder Projektmanager, aber auch als Politiker, Pressesprecher oder Personalberater arbeiten. Unternehmen, auf deren Websites eine altbackene „Wir sind …“-Kommunikation stünde, riet Zaborowski, die Perspektive zu wechseln, da sich keiner für eigene Lobpreisungen interessiere.
„Man muss heute nicht der beste, sondern der schnellste Arbeitgeber sein“
„Man muss heutzutage nicht mehr der beste Arbeitgeber sein, sondern der schnellste“, sagte die gebürtige Fuldaerin Julia Böttcher, die ihren ersten beruflichen Baustein bei der it-novum GmbH legte, im Anschluss internationale Betriebswirtschaftslehre (BWL) an der Hochschule Fulda studierte und heute bei der KfW Bankengruppe als HR-Managerin unter anderem für Effizienz- und Digitaliserungsthemen zuständig ist. „Man muss heute nicht der beste, sondern der schnellste Arbeitgeber sein“, so die Expertin. Sie riet den anwesenden Führungskräften und Unternehmensvertretern zu Optimierung von Unternehmensseiten und Optimierung der Stellenanzeigen – statt passiver sollte aktive Sprache zum Einsatz kommen, damit sich die Bewerber eine bessere Vorstellung machen können.
Statt langen Lesestoffs sei ein, so die Marketing-Fachsprache, „Call-to-Action“ (CTA) – frei übersetzt „Aufruf zum Handeln“ – ratsam. Ein solcher Aufruf führe nicht selten zu spontanen Direktbewerbungen über entsprechende Eingabemasken auf den betreffenden Websites. Generell sollte ein Bewerbungsprozess nach sechs Wochen abgeschlossen und die Kandidaten in dem genannten Zeitraum über den Erfolg oder Nichterfolg ihrer Bewerbung im Bilde sein.
Neben relativ bekannten Business-Plattformen für neue Jobs wie LinkedIn, XING oder Indeed nannte Böttcher eine ganze Reihe von Internet-Spezialportalen, die selbst für die Marketing-Fachleute im Saal neu waren. Oder haben Sie schon mal etwas von „Stack Overflow“ (Internetplattform für Softwareentwickler), „Honypot“ (Tech-Job-Plattform), „Talentwunder“ (Bewerbersuche mit Hilfe von „Künstlicher Intelligenz“) oder „Azubyo“ (Azubi-Jobbörse) gehört? Wie wichtig Homeofficeangebote (ideal aus Arbeitnehmersicht sind laut Umfragen mindestens drei Tage pro Woche) und flexible Arbeitszeiten sind, dafür nannte Böttcher eine aussagekräftige Zahl. So seien Studien zufolge 40 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer kündigungsbereit, wenn ihnen die Flexibität fehle. Nicht nur hier, auch auf anderen Feldern si mittlerweile die Frage „Was können Sie mir bieten?“ der neue Standard. Als Zeichen der Wertschätzung würden aber auch kontinuierliche Weiterbildungsangebote gesehen. 84 Prozent einer von LinkedIn veranlassten Umfrage hätten erklärt, dass sie ihren Arbeitgeber nicht verlassen, wenn sie entsprechende Angebote bekommen hätten.
Begeisterung bei den Teilnehmern der Fachtagung
Die Begeisterung über den Marketingtag verbreitete sich bereits am Freitag und den beiden Wochenendtagen sehr schnell. „Eine tolle Veranstaltung, sozusagen vollbesetzt und ausverkauft“, lobte Thomas Kirchhof, Prokurist und stellvertretender Verlagsleiter der Mediengruppe Parzeller. Der osthessische Unternehmer Michael Engels bedauerte, nicht dabei gewesen sein zu können. „Nächstes Jahr freue ich mich auf neuen Input“, zeigte er im Business-Netzwerk LinkedIn Vorfreude auf den nächsten Fuldaer Marketingtag, der das berühmte halbe Dutzend vollmachen wird.