Klangwelten fürs Auge
KÜNZELL. Jeder Fuldaer kennt es und dürfte es schon oft zu Gehör bekommen haben. Der Klang der Domglocken ist ein nicht wegzudenkender Teil des Alltags der Barockstadt. Der Künzeller Felix Karpe drehte jüngst einen anderthalbstündigen Film über das Geläut, welcher beim Bonifatius-Fest gezeigt wurde. Es sollte aber nicht nur bei Domaufnahmen bleiben.
Von Torsten Goßmann
Waghalsig und schwindelerregend beschreiben die Dreharbeiten ziemlich gut, die der Künzeller auf sich genommen hatte, nachdem er inzwischen zahlreiche Glockentürme der Region aufgesucht hat. „Bis zu acht Videokameras mit Zusatzscheinwerfern sowie zehn Mikrofone habe ich teilweise benutzt, um den Vorgang des Glockenläutens aufzuzeichnen“, beschreibt der Fachinformatiker, der mit moderner Aufnahmetechnik bestens vertraut ist. Allein das Equipment die Türme hinauf zu tragen sei schon ein Kraftakt gewesen. Manchmal beherbergten die Orte aber auch Überraschungen, zum Beispiel ein Wespennest in der Michaelskirche.
Felix Karpe hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt der Kirchturmglocken im Landkreis Fulda auf die heimischen Bildschirme zu holen. Denn auch wenn ihr Klang ein alltäglicher Wegbegleiter ist, zu Gesicht bekommt man sie meistens nicht. Vielmehr sind sie bestenfalls aus der Ferne zu sehen, oft genug aber verborgen durch Schallläden. Grund genug für Karpe, abenteuerliche Klettertouren in die historischen Glockentürme auf sich zu nehmen und diese Welt den Osthessen zu eröffnen.
Mit dabei waren Gotteshäuser in Horas, Weyhers, Dietershausen, Pilgerzell, zwei katholische Kirchen in Petersberg, die Michaelskirche, der Dom, die Elisabethkirche Gallasiniring vor der Profanierung und die evangelische Kirche Bronnzell. Zum Einsatz kamen dabei auch 360-Grad-Videokameras, die praktisch alles in ihrer Umgebung gleichzeitig aufnehmen können. Eine Aufnahme-Session dauerte locker bis zu zehn Stunden.
„Das große Highlight waren aber natürlich die Arbeiten im Fuldaer Dom“, erinnert sich derFachinformatiker. Bei diesem bedeutenden Bauwerk wollte er es aber nicht bei den reinen Glockenaufnahmen belassen und begann nach Interviewpartnern für einen Begleitfilm zu suchen. An erster Stelle gab ihm der Glockenbeauftragte des Bistums Fulda, Prof. Hans-Jürgen Kaiser, umfassend Auskunft. Erstaunliche Details inklusive. Etwa, dass selbst die massiven Türme des Doms in leichte Schwingungen versetzt werden, wenn die Glocken ihren Klang verbreiten.
Digitales Glockenarchiv
Angefangen hat Karpes Leidenschaft mit einem eher betrüblichen Anlass:„Der Vater meiner Chefin ist in der tiefsten Corona-Zeit gestorben. Wegen der damaligen Vorgaben musste der zuständige Pfarrer in Dietershausen den Gottesdienst ganz alleine halten“, erzählt er. Und ein Besuch der in den USA lebenden Geschwister war auch ausgeschlossen. Um einige Eindrücke wenigstens per Handy live in die USA übertragen zu können, bat sie Karpe um Hilfe. Die Kirche wurde in ein kleines Aufnahmestudio umgebaut und die Übertragung erfolgte über YouTube. So konnten nicht nur die Angehörigen, sondern auch das Dorf den Gottesdienst verfolgen.
Einige Zeit später habe der Pfarrer ihn dann angesprochen, ob er nicht auch für die Ostergottesdienste seine Übertragungstechnik einsetzen könne und so wurden schon bald vom Palmsonntag bis zum Entzünden des Osterfeuers sämtliche Gottesdienste im Internet gestreamt. Weil zu einem Gottesdienst auch das Läuten gehört, stieg er kurzerhand in den Kirchturm und filmte die Glocken in Aktion – die Idee für sein Glockenarchiv war geboren.