Fulda | Fuldaer IHK-Präsident, Fuldaer Landrat und deutsche Militär-Expertin reden Tacheles beim traditionellen Neujahrsempfang der IHK Fulda

Wachrütteln für progressive Wirtschaft und wehrhafte Demokratie

Der traditionelle Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer (IHK) Fulda glich einem Wachrütteln für eine wehrhafte Demokratie, aber auch für das schnelle Beseitigen von Wirtschaftshemmnissen direkt vor der Haustür und eine progressive Wirtschaftsagenda. Vor  500 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft redeten am Freitagabend Dr. Christian Gebhardt, Präsident der IHK Fulda, Landrat Bernd Woide (CDU) und die deutsche Sicherheitsexpertin Dr. Claudia Major Tacheles.

Von Mirko Luis

Unter den Gästen und Freunden der IHK Freunde befanden sich neben zahlreichen Unternehmern der Region unter anderem der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel, Mark Weinmeister (CDU), Fuldas Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld (CDU), die beiden Ehrenpräsidenten der IHK Fulda, Helmut Sorg und Bernhard Juchheim, der Ehrenpräsident der IHK-Vollversammlung, Wolfgang Wehner, der ehemalige Präsident der Industrie- und Handelskammer Fulda und Herausgeber der Fuldaer Zeitung, Dr. Thomas Schmitt mit Gattin Gerda, sowie Vertreter von IHK-Nachbarkammern, Handwerkskammern sowie dem Ehrenamt.

„Teo“-Entscheidung innovations- und technologiefeindlich

Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, dass die Mini-Supermärkte „Teo“ des Handelsunternehmens Tegut an Sonn- und Feiertagen geschlossen bleiben müssen, adressierte Gebhardt eine klare Botschaft an die neue hessische Landesregierung. So stehe das Urteil für ihn symbolisch für die sich ausbreitende „Innovations- und Technologiefeindlichkeit“ in unserem Land. „Man hätte sich auch freuen können, dass ein regionales Unternehmen innovative Handelskonzepte vor der eigenen Tür und im ländlichen Raum pilotiert und ausrollt, statt es anderen weltweiten Akteuren zu überlassen“, sagte Gebhardt. Er hoffe sehr, dass die neue Landesregierung die im Koalitionsvertrag angekündigte Änderung des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes (HLöG) zur Ermöglichung von Sonntagsöffnungen vollautomatisierter Geschäfte schnell umsetze und freue sich, dass die Verantwortlichen der Stadt Fulda hinter einer solchen Gesetzes-Novellierung stünden, betonte der Fuldaer Wirtschaftsexperte.

Groenhoff-Areal: Land Hessen in der Pflicht

Als weiteres regionales Anliegen, das ihm am Herzen liege, benannte Gebhardt das Groenhoff-Areal, das nach und nach verfalle und damit die Attraktivität der gesamten Wasserkuppe senke – mit wirtschaftlich negativen Folgen. „Ich finde, dass eine Landesimmobilie auch mit Landesmitteln instandgesetztwerden müsste und wir regional dann unseren Beitrag dazu leisten“, formulierte Gebhardt eine klare Forderung. An guten Konzepten mangele es jedenfalls nicht, diese müssten nur aus der Schublade gezogen werden. „Wir werden den Dialog mit der neuen Landesregierung suchen, um die Dringlichkeit einer nachhaltigen Lösung zu verdeutlichen“, kündigte er an.

 

Erstarken rechtspopulistischer Strömungen standortschädigend

Unterdessen gestand Gebhardt ein, dass ihn angesichts der deutschen Geschichte und der aktuellen Zunahme des Antisemitismus das Erstarken rechtspopulistischer Strömungen mit großer Sorge erfülle. Und er warnte: „Ein Umfeld, das als wenig offen und tolerant wahrgenommen wird, schreckt ausländische Fachkräfte ab und führt auch zum Wegzug mobiler heimischer Arbeitnehmer. Unternehmen und Start-ups siedeln sich in einem solchen Umfeld auch gar nicht erst am Standort an.“

Fachkräftemangel bleibt Herausforderung

Zu den Lichtblicken gehört unterdessen laut IHK-Präsident, dass die Arbeitslosigkeit im Landkreis Fulda trotz aller Krisen aktuell bei lediglich 3,4 Prozent liegt und auf einen jungen Menschen rein rechnerisch über zwei offene Ausbildungsplätze kommen. Als weitere Zahl nannte Gebhardt die Zahl von 9.760 Fachkräften, die laut Institut für Arbeit, Wirtschaft und Kultur (IWAK) im Jahr 2028 auf dem Arbeitsmarkt fehlen würden – zusätzlich zu den bereits jetzt bestehenden Defiziten und fehlenden Fachkräften. „An der Anwerbung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland wird zur Schließung dieser Lücke kein Weg vorbeiführen“, prognostizierte Gebhardt.

Demokratie als Chance

Landrat Bernd Woide (CDU) ging in seinem Grußwort vor allem auf die deutsche Innenpolitik ein. Er sprach in diesem Zusammenhang von „vielen Problemlagen, die ineinandergreifen, sich überlagern und nicht für besonders gute Stimmung in unserem Land sorgen“. Das wiederum habe Auswirkungen auf die Demokratie und das Demokratie-Verständnis. „Demokratie ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns nach 1945 so entwickeln konnten, wie wir uns entwickelt haben. Demokratie ist nie das Problem, sondern sie ist die Chance“, betonte Woide.

„Mit Gesetzen nicht jeden Einzelfall lösen“

Der gelernte Jurist appellierte an die Politik und Gesetzgebung, dass das Bestreben, mit Gesetzen bis ins Detail jeden Einzelfall lösen zu wollen, nicht immer zielführend sei. Selbst ihm, der das ja gelernt habe, falle es schwer, jüngere Gesetze wie beispielsweise zur Sanierung von Gebäuden zu lesen. Woide plädiert dafür, Verwaltungen mehr Ermessensspielräume zu geben.

Was leistbar ist und was nicht

Mit Blick auf soziale Transfers an Schwächere, Bürgergeld und die Leistungsfähigkeit des Staates bezog Woide klar Position. „Wir müssen uns abschminken – das werden wir uns in Zukunft gar nicht mehr leisten können, weder finanziell noch administrativ – jede soziale Problemlage durch staatliche Transferleistungen zu lösen.“ Unser Staat werde viel mehr zu tun haben in den kommenden Jahrzehnten, die innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten. „Das ist die Kernaufgabe eines Staates.“

In der Region stets das Positive zuerst gesehen

Es seien schwierige Zeiten im Moment. „Jedoch haben wir in unserer Region immer das Positive zuerst gesehen. Und darum geht es auch in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren“, so Woide. Das Netzwerken und Reden miteinander mache die Region aus. „Wir sind nicht die Größten, aber wir sind hocheffizient.“

Militär-Expertin Claudia Major spricht von „Polykrise“

Hauptrednerin Dr. Claudia Major, Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik und Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung, sprach angesichts von „genozidalen Grausamkeiten“ auf der Welt beim russischen Angriffskrieg in der Ukraine und beim Krieg im Gazastreifen von einer „Polykrise, die immer schwieriger zu verarbeiten ist“. Ein zentrales Element bei der internationalen Ordnung sei Gewalt. Hierbei würden Akteure wie Russland die bisherige Ordnung in Frage stellen und diese nicht nur mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln, sondern mit militärischer Gewalt verändern wollen. Und während Russland die Ukraine weiter bombardiere, sei die USA, als unser wichtigster Partner bei Krisen und Konflikten, in einem zutiefst polarisierenden Wahlkampf paralysiert. „Und wir wissen nicht so richtig, wie es weitergeht“, räumte die 47-jährige Militärexpertin ein.

„Unklar, was kommt, wenn Trump Präsident wird“

Die gebürtige Ost-Berlinerin charakterisierte die Lage in den USA als einen Wahlkampf, bei dem es zwar vordergründig um die Präsidentschaft, aber eigentlich noch um viel mehr, nämlich die Zukunft der amerikanischen Demokratie gehe. „Es ist unklar, was kommt, wenn Trump Präsident werden sollte“, fügte sie hinzu.

Bedeutungsverlust westlicher Staaten

Als ob das nicht reichen würde, hätten wir es mit strukturellen Herausforderungen wie Klimawandel, technologische Entwicklung und dem Bedeutungsverlust der westlichen Staaten gegenüber „dem Rest der Welt“ zu tun. Deren Anteil an der Weltwirtschaft sinke genauso wie deren Bevölkerungsanteil. Das Bonmot, das sicher jeder im Saal schon kenne, laute: „Wir haben die Sicherheit an die USA outgesourct, die Energie an Russland und die Produktion nach China.“ Wobei der Versuch, mit Russland enger zusammen zu arbeiten, der richtige Ansatz gewesen zu sei. „Der Fehler war, dass wir hierüber unsere Sicherheitspolitik vernachlässigt und nicht auf die Warnungen von Partnern in Europa gehört haben“, analysierte Major. Wenn jetzt Geld in die Bundeswehr investiert werde, handele es sich – wenn man ehrlich sei – um eine „rückwärtsgewandte Lückenstopferei“ beziehungsweise „Liste von Hausaufgaben, die wir in den letzten Jahren nicht gemacht haben“.

Ausblick auf die kommende Sicherheitsordnung

Die kommende Sicherheitsordnung in Europa ist nach der Einschätzung von Major nicht mehr integrativ-kooperativ, sondern in weiten Teilen konfrontativ. Bittere Realität sei, dass Russland, Stand heute, einen kooperativen Ansatz und ein Ende des Krieges ohne russischen Sieg ablehne.

Krieg und Frieden nicht mehr so klar trennbar

Deutschland brauche nicht nur einsatzbereite Streitkräfte, sondern müsse sich auf eine noch viel breitere Bandbreite an Konflikten einstellen – etwa Cyber-Angriffe, Fake-News und Angriffe auf die kritische Infrastruktur. „Die Zeiten, in denen wir Krieg und Frieden so klar trennen konnten, sind vorbei, weil Frieden nicht nur kein Krieg, sondern die Überwindung von Konfliktursachen ist“, veranschaulichte Major. In Deutschland werde diesbezüglich noch immer in binären Ansätzen folgenden Mustern gedacht: „Wenn kein Krieg ist, haben wir offensichtlich Frieden“ oder „Nach dem Krieg kommt Frieden“. Als Beispiel nannte Major die Zeit nach der Krim-Annektion, in der es eben keinen Frieden, sondern einen permanenten Konflikt gegeben habe.

„Werden uns später daran messen lassen müssen“

Die gute Botschaft aus Sicht von Major lautet, dass Deutschland und die EU mit dem, was hier entschieden hat, mitgestalten und die Ukraine in die Lage versetzen kann, noch mehr Gebiete zu befreien und als unabhängiger Staat zu überleben. „Wir sind also keineswegs nur Spielball“, machte Major Hoffnung. Ihres Erachtens nach liege die weitere Ukraine-Unterstützung im eigenen Interesse. „Wenn wir es nicht tun, geben wir die Ukraine preis und gehen sicherheitspolitisch große Risiken ein“, gab die Expertin zu bedenken. „Wir werden uns später daran messen lassen müssen, was wir gemacht oder eben nicht gemacht haben“, ergänzte sie. Zu überlegen, wie wir als Gesellschaft resistenter werden können, und uns bewusster zu machen, was wir verteidigen wollen, gehöre indes zu unseren wichtigsten Hausaufgaben.

„Es geht um eine wehrhafte Demokratie“

„Letztlich geht es um eine wehrhafte Demokratie, die sich nicht aushöhlen lässt, und um Gegnern, die unsere Lebensart in Frage stellen und fundamental ablehnen.“ Diese wollten das zerstören, was uns ausmache – unsere freiheitlichen Strukturen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie der Krieg in der Ukraine ausgehe, sei allein schon deshalb relevant, weil dann Grundsatzfragen beantworten würden wie: „Sind Atomwaffen die ultimative Lebensversicherung und kann ich, wenn ich welche haben, andere Länder überfallen und Grenzen verschieben?“ Es gehe auch darum, welche Lehren andere Länder – zum Beispiel China – aus diesem Krieg zögen.

Offene Türen für Propaganda aus China

In Europa werde gerade Russland stark wahrgenommen. „Die zentrale Herausforderung lautet aber China“, so Major, die sich damit auf das Leitmotiv in zentralen amerikanischen Strategien bezog. „Die nationale Sicherheitsstrategie der Biden-Regierung sagt klar, dass Russland eine regionale Sicherheitsbedrohung ist und China die entscheidende geopolitische Herausforderung.“ So propagiere China scheinbar erfolgreiche Gegenmodelle. „Ich habe dabei den Eindruck’ dass die Propaganda sehr offene Türen und dass die Medienkompetenz, die in den Schulen vermittelt wird, viel Spielraum hat“, sagte Major mit Blick auf die auch in deutschen Kinderzimmern beliebte Kurzvideo-Plattform TikTok, die einem chinesischen Internettechnologieunternehmen gehört. Sie sei Landrat Woide sehr dankbar für das, was er über Demokratie gesagt habe, denn unsere offene Gesellschaft mit ihrer Meinungs- und Pressefreiheit biete der Propaganda wunderbare Einfallstore und gehöre zur kritischen Infrastruktur. Nach ihrem mit viel Applaus bedachtem Vortrag beantworte die Sicherheit-Expertin noch einige Frage aus dem Publikum und nahm als Geschenk für ihre Rückreise mit der Bahn einen gut gefüllten „Fuldaer Rucksack“ entgegen, der Wegzehrung mit regionalen Spezialitäten enthielt und ihr möglicherweise noch gute Dienste leistete.

Prädikate „Gesund arbeiten in FD“ verliehen

Bevor es ans Netzwerken mit vielen interessanten Gesprächen über das zuvor Gehörte hin, zeichneten Fuldas IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Konow und IHK-Präsident Dr. Christian Gebhardt sieben Betriebe der Region in der mittlerweile bereits achten Prädikatierungsrunde zur mit dem Prädikat „Gesund arbeiten in FD“ aus – vier zum wiederholten Male und drei zum ersten Mal. Damit haben insgesamt 44 Firmen aus der Region das Prädikat „gesund arbeiten in fd“ erworben. Der Arbeitskreis „Gesundheit und Werte“ wurde 2010 gegründet. Das Prädikat „gesund arbeiten in fd“ haben Unternehmerinnen und Unternehmer aus diesem Arbeitskreis mit viel Engagement selbst entwickelt. Wertvolle Unterstützung bei den Prädikatisierungen gibt es seit 2019 von der Hochschule Fulda.

MLH Medien Logistik und Verlag Parzeller unter Geehrten

Unter den geehrten Betrieben befanden sich auch zwei Unternehmen der Mediengruppe Parzeller. Für die MLH Medien Logistik Hessen GmbH & Co. KG (erstmalige Prädikatisierung) nahmen Tobias Röder (Prokurist und Leitung Zustellung) sowie Miriam Jones-Schäfer (Assistenz der Teamleitung) die Auszeichnung entgehen. Über das Prädikat und die Urkunde durfte sich zudem der Verlag Parzeller freuen. Gechäftsführer Haldun Tuncay und Thomas Kirchhof (stellv. Vertragsleiter) nahmen die Urkunde entgegen. Weitere Ehrungen erfuhren die Diotima Energie GmbH (erstmalige Prädikatisierung), die OREXES GmbH, die Papierfabrik Adolf Jass GmbH & Co. KG, die Weinrich GmbH & Co. KG sowie Wuttke Architekten (erstmalige Prädikatisierung).

Prädikate für den Schutz der Nacht

Mit dem Prädikat #lichtbewusstsein zeichnete die IHK Fulda gemeinsam mit Stadt und Landkreis Fulda außerdem Unternehmen aus, die durch den bewussten Einsatz von Außenbeleuchtung den Schutz der Nacht berücksichtigen und damit einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität, Energieeinsparung und zu einem ästhetischen Ortsbild und Nachtlandschaft leisten. Mit den Verleihungen vom Freitag haben sich insgesamt 22 Unternehmen für das Prädikat qualifiziert. In diesem Jahren waren das Engelbert Strauss (speziell für die CI Factory Schlüchtern), die Kulturstiftung des Hauses Hessen (für Schloss Fasanerie), das LindenGut (Anja Lindner, Wolfang Gutberlet), die Schreinerei RhönLandHolz (Stephanus Faulstich) sowie die Schreiber GmbH (Carsten Staubach, Stefanie Staubach, Norbert Staubach). Im vorigen Jahr war das Prädikat #lichtbewusstsein mit dem Deutschen Award für Nachhaltigkeitsprojekte ausgezeichnet worden.