Fulda | BVMW-Sommerfest im 3-G-Kompetenzzentrum mit prominenten Gästen und klugen Redebeiträgen

Volker Bouffier: „In Krisenzeiten Prioritäten setzen“



In der von Multikrisen geprägten Gesellschaft sei es Kernaufgabe der Politik, Prioritäten zu setzen und den Bürgern zu erklären, warum man etwas tue oder nicht, sagte der ehemalige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Dienstagabend auf einer gut besuchten Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) im 3G Kompetenzzentrum.

Von Mirko Luis

„Dass die jetzige Krisensituation dieses Land verändern wird, steht für mich fest – ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass es in ein paar Monaten so ist wie immer“, so der auch nach seinem Ausscheiden aus der politischen Verantwortung hoch angesehene Politiker. Mit Blick auf das gerade beschlossene dritte Entlastungspaket der Ampelregierung zeige sich, wie extrem gestresst die Regierung im Moment sei. Es stelle sich die zentrale Frage, ob der Staat tatsächlich alles abfedern könne. Kaum einer wisse zum Beispiel, dass das Land Hessen heute schon jedes Jahr 600 Millionen Euro jährlich an die Verkehrsverbünde zahle, „damit das überhaupt so läuft wie es zurzeit ist“, nannte Bouffier eine vor dem Hintergrund der angestrebten Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket interessante Zahl. Denn für das Nachfolgemodell, für das von den Verantwortlichen von SPD, FDP und Grünen ein Zielpreis zwischen 49 und 69 Euro ausgegeben wurde, sollen sich die Länder beteiligen, was mit Sicherheit Auswirkungen auf die von Bouffier genannte Größenordnung der Beteiligung des Landes Hessen haben wird.


Als Staat nicht alles mit Schulden finanzieren

Nach Ansicht des 70-Jährigen ehemaligen Landesvaters dürfe der Staat nicht alles mit Schulden finanzieren, sondern müsse an manchen Stellen auch mal den Riegel vor neue Schulden vorschieben. Dazu gehöre Rückgrat. Wenn man einmal ein Versprechen einhalten würde, müsse man zehnmal ‚Nein‘ sagen, denn jeder, der Geld benötige, habe heutzutage gute Argumente, so der gelernte Jurist, der sich vor seiner politischen Karriere im Alter von 27 Jahren selbstständig gemacht hatte und nach eigenen Angaben sogar einmal Hessens jüngster Notar war. Die vielgescholtene Politik unterscheide sich von allen anderen Institutionen, beginnend in den Gemeinde- und Stadtparlamenten über die Landtage bis hinein in den Bundestag, durch einen wesentlichen Punkt: „Aus einer Vielzahl von Vorschlägen heraus müssen Prioritätenentscheidungen getroffen, da nun mal nicht alles gleichzeitig geht. Und die Entscheidungen müssen vertreten werden“, verdeutlichte Bouffier. Da könne es dann etwa um die Frage gehen, ob eine Schule sich weitere zehn Heizlüfter anschaffe, oder ob alles dicht gemacht werde, sodass die Sportvereine gar nichts mehr machen könnten. Es stelle sich die Frage, ob Bewegung so wichtig für Kinder sei, dass man dafür weiter investiere oder eben nicht. 

Im Zusammenhang mit der immer heterogener werdenden Gesellschaft übte Bouffier Kritik an der „Fridays for Future!“-Bewegung, die zwar in Vergangenheit große mediale Aufmerksamkeit bekommen habe, „aber keinen einzigen Beitrag zur Lösung des Problems geleistet hat“. Im weiteren Verlauf des Abends analysierte Bouffier sehr umfassend die Hintergründe des Ukraine-Krieges und der immer tiefer werdenden gesellschaftlichen Gräben in Amerika. Er zog mit profundem Geschichtswissen Parallelen zur Gegenwart und beantwortete Interview-Fragen von Klaus-Hartmut Radtke, BVMW-Landesbeauftragter für Politik, und trat in direkten Dialog mit dem Publikum. Neben dem Ehrengast Volker Bouffier waren rund 100 Mitglieder und Gäste der Einladung gefolgt, darunter Verleger Michael Schmitt, der Geschäftsführer der Mediengruppe Parzeller, Haldun Tuncay, der ehemalige hessische Sozial-Staatssekretär Prof. Dr. Wolfgang Dippel, der hessische CDU-Landtagsabgeordneter a.D. Markus Meysner, der Geschäftsführende Direktor der Landesmusikakademie Hessen, Lothar R. Behounek, eine ganze Reihe gestandener Unternehmerpersönlichkeiten aus Osthessen sowie Mitglieder aus Wiesbaden, Darmstadt und Kassel.

Menschliches Gehirn bis ins hohe Alter wandlungsfähig

Neben dem unternehmerischen Austausch beim Grill-Büfett und kühlen Getränken im Asia Zen-Garten stand ein Impulsvortrag des aus der Schweiz angereisten Wirtschaftsexperten Hermann Ladner im Fokus. „Wir Menschen gehen mit den Erfahrungen aus der Vergangenheit an die Herausforderungen der Zukunft heran – und stehen uns damit häufig selbst im Weg“, verdeutlichte der Chef des Schweizer Life Instituts. Sein Institut befasst sich seit über 25 Jahren mit der Erforschung von Sichtweisen und deren gezielte Erweiterung. Im Rahmen dieser Arbeit unterstützt das Life Institut mittelständische Unternehmen, Konzerne und Kommunen bei der erfolgreichen Gestaltung der Zukunft. Ladner hatte, sich auf Erkenntnisse der neueren Hirnforschung stützend, gute Nachrichten im Gepäck. So bleibe das menschliche Gehirn, das bereits zur Geburt über 100 Milliarden Neuronen und 25 Milliarden Synapsen verfüge, bis ins hohe Alter wandlungsfähig. Davon erfasst seien auch Sichtweisen, die sich ändern könnten, wenn Menschen sich intensiver mit ihrem Umfeld und den Akteuren darin beschäftigten. Erweiterungen von Sichtweisen könne die Arbeit in Firmenteams nicht nur leichter machen, sondern verbessern.

Rüdiger Muth überwältigt vom Zuspruch

Rüdiger Muth, der für den BVMW Rhein-Main und Osthessen zuständig ist, zeigte sich überwältigt vom guten Zuspruch des Sommerfestes, das letztmals im Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie in Präsenzform stattgefunden hatte. Zur Begrüßung erinnerte er an die erfolgreiche Veranstaltung mit Ski-As Dieter Thoma inmitten der Pandemie vor zwei Jahren. Seinerzeit sei die BVMW-Kampagne „Ärmel hoch“ gelaufen mit der Botschaft, dass Mittelständler die Ärmel hochkrempeln würden – trotz der Probleme. Später habe er ein Bild vom seinerzeitigen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesehen, der, ebenfalls in Rot-Weiß, die Ärmel hochgekrempelt hatte – allerdings um sich impfen zu lassen. „So unterschiedlich können Sichtweisen auf die selbe Begrifflichkeit sein“, meinte Muth, der sich bei den Verantwortlichen des 3G Kompetenzzentrum für die super Organisation des Tages bedankte. Corona selbst habe dem BVMW auf regionaler Ebene nicht geschadet, sondern einen Mitgliederzuwachs in Höhe von 20 Prozent beschert, sodass das regionale Netzwerk auf 300 Mitglieder angewachsen sei. Wenngleich es durch den demographischen Wandel in der Gesellschaft per se weniger Betriebsgründungen gebe, seien diejenigen, die sich zu einer Gründung entschlossen sind, „hochmotiviert“.

Freiheitsliebende Generation junger Gründer hochmotiviert

Die freiheitsliebende jüngere Generation, die den „Post-Millennials“ zuzurechnen sei, schätze vor allem die hohe Eigenverantwortung, den gestalterischen Spielraum und die Work-Life-Balance, die man als sein eigener Chef habe. Muth zufolge nach wie vor kritikwürdig sind die „viel zu behäbigen Verwaltungsvorgänge beim Gründen“, die jegliche Dynamik bremsten. Gründungslust gehe vor diesem Hintergrund leider nicht selten mit Gründungsfrust daher. „Dabei wäre noch mehr gesellschaftliche Wertschätzung des Unternehmertums wünschenswert, denn es sind die Mittelständler, die mit wirtschaftlichem Erfolg und Sicherung von Jobs die Gesellschaft tragen.“