Petersberg | 300 Tonnen Hilfsgüter, Gänsehaut-Momente an der Grenze und tiefe Dankbarkeit bei Ukrainern

„Die Dankbarkeit ist unser größter Lohn“

Wie groß die Anteilnahme der osthessischen Bürger am Schicksal der Menschen in der Ukraine ist, verdeutlichen Zahlen, die jetzt der Vorsitzende des Vereins der Köche 1921 Fulda, Stefan Faulstich, nannte. Dem im Ehrenamt engagierten Unternehmer zufolge wurden in den vergangenen Monaten insgesamt 300 Tonnen Hilfsgüter gesammelt und mit Konvois und Lkw-Transporten auf die Reise geschickt.

Von MIRKO LUIS

Zudem seien kurz bereits nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs Helfer an die rumänisch-ukrainische Grenze gefahren, um dort Flüchtlinge zu unterstützen. 50 geflüchtete Menschen seien nach Deutschland gebracht worden, sagte der Gastronom anlässlich eines Besuchs des ukrainischen Konsuls Sergij Dragan, der dem Gasthof Rhönblick in Steinau einen Besuch abstattete. Der Kontakt war durch Jörg Witzel, FDP Kreistagsabgeordneter aus Tann, zustande gekommen. Der hatte unter anderem Einladungen an das ukrainische Konsulat und Außenministerium verschickt – und erhielt prompt positives Feedback auf seine Anfrage. Eigentlich habe sogar Andrij Melnyk, bis vor Kurzem ukrainischer Botschafter in Deutschland, selbst kommen wollen. Doch durch dessen zwischenzeitliche Abberufung sei daraus nichts geworden.

Gänsehaut-Moment an der ukrainisch-rumänischen Grenze


Witzel berichtete dem Marktkorb von wahren Gänsehaut-Momenten an der rumänisch-ukrainischen Grenze. Quasi im Viertelstundentakt habe er bei den Flüchtenden, die in Dnepropetrovsk gestartet waren, immer wieder nachgefragt: Wo seid Ihr? „Wenn man im Nachhinein die Sprachnachrichten durchgeht, ist das sehr emotional – das lässt sich mit Worten kaum beschreiben, man muss es selbst erlebt haben.“ Der vom Generalkonsulat der Ukraine in Frankfurt entsandte Konsul zeigte tiefe Dankbarkeit. „Man könnte Tage und Nächte darüber reden, was sie für unser Volk getan haben.“ Witzel hierzu: „Die Dankbarkeit ist unser größter Lohn.“

 

Betreuung der ukrainischen Jugendnationalmannschaft der Köche

Für den Verein der Köche Fulda gab es einen zutiefst menschlichen Bezug zur Ukraine. „Wir betreuen schon seit mehreren Jahren die ukrainische Jugendnationalmannschaft der Köche, die in Fulda zu Trainingslagern und Fortbildungen weilte. Das war für uns der ausschlaggebende Moment, nach vier Tagen Krieg zu sagen: Lass’ uns da was starten“, beschrien Stefan Faulstich den Ausgangspunkt. Gesagt, getan.

Von der eigenen Aktion überrollt worden

„Wir sind dann von unserer Aktion dann selbst ein wenig überrollt worden, wussten zeitweise nicht, wohin mit der Spendenlawine an Hilfsgütern. Vor Ort half der Verein der Köche bei der Zubereitung und Verteilung der Verpflegung von Kriegsflüchtlingen. Eine Riesen-Armada von Vereinsmitgliedern und Freiwilligen sei dabei bis an die eigenen Grenzen der Belastbarkeit gegangen. „Da waren Leute dabei, die man bis dahin nicht gekannt hatte, die aber mittlerweile gute Freunde geworden sind“, so Faulstich.

Riesen-Dankeschön an die Schulen des Landkreises Fulda

„In Spitzenzeiten haben 80 bis 100 Helfer mit angepackt“, fügte er an. Einige Rhöner Charme-Betriebe boten darüber hinaus ihren Gästen auf der Karte eine ukrainische Spezialität an – jeweils fünf Euro pro Essen wurden an die Hilfsaktion für Kriegsflüchtlinge des Vereins der Köche Fulda gespendet. Um die Hilfskonvois mitzufinanzieren, hätten auch Kindergärten und Schulen unheimlich viel getan und beispielsweise Sponsorenläufe zugunsten der Ukraine veranstaltet. „Ich denke, dass wir allein über diese Schiene 60.000 Euro Spendengelder erhalten haben. Für das Engagement an der Stelle ein dickes Dankeschön an alle Kinder, Schüler und Lehrer.“

Ukraine-

Benefizveranstaltung am 24. August

In Steinau liefen und laufen bis heute viele Fäden der Ukraine-Hilfe zusammen: Starteten doch von hier aus immer wieder Hilfstransporte zur Grenze und sind Geflüchtete untergebracht. So leben im von Faulstich betriebenen Gasthof aktuell elf Personen, einige Ukrainer arbeiten im Küchen- und Servicebereich. Am Mittwoch, 24. August, ab 19 Uhr, findet anlässlich des Unabhängigkeitstages der Ukraine eine Ukraine-Benefizveranstaltung im Gasthof Rhönblick statt. Nach Marktkorb-Informationen sollen dabei unter anderem ukrainische Tänze zur Aufführung kommen. Am 24. August 1991 hatte die Ukraine ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt – dass an diesem Tag eine öffentliche Veranstaltung in Steinau stattfindet, kann als weiteren „Zeichen der Solidarität“ gewertet werden.



„Die meisten Ukrainer wollen hierbleiben“



„Ein Ende des Krieges ist nicht absehbar“, bedauert Konsul Sergij Dragan. Daher sei auch auf dem Land mit weiteren Flüchtlingen zu rechnen. Nach den Einschätzungen von Dragan werden die meisten Ukrainer hierbleiben wollen – bis auf wenige, deren Haus noch steht und die einen guten Job haben. „Wenn jemand alles verloren hat, ist der Neubeginn in Deutschland in jedem Fall eine gute Chance“, so die in der Diskussionsrunde anwesende stellvertretende Kämmerin der Gemeinde Petersberg, Irina Erb, selbst gebürtige Ukrainerin und seit 2004 in Deutschland.



Erste Erzieherin aus der Ukraine eingestellt – trotz Hürden



Mit Blick auf den Fachkräftemangel in der Region sieht der Petersberger Bürgermeister Carsten Froß (CDU) durchaus Chancen, über die Integration von Ukrainern positive Arbeitsmarkt-Effekte zu erzielen. „Aber das muss sich noch ein Stück weit entwickeln.“ Der Kommunalpolitiker weiter: „Wir haben jetzt sogar selbst die erste ukrainische Erzieherin eingestellt – trotz einiger juristischer und formaler Hürden.“ Die Gemeinde schlägt damit quasi zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen setzt sie der Tatsache, dass Erzieher Mangelware sind, aktives Handeln entgegen. Zum anderen erleichtert das die Kommunikation von den eigenen Einrichtungen. Denn wie Froß auf Anfrage unserer Zeitung bestätigte, leben derzeit „mehrere hundert Ukrainer“ über das Gemeindegebiet verteilt. Generell sei wünschenswert, behördliche Barrieren runterzuschrauben, so Froß mit Blick auf die Flüchtlingsintegration in Osthessens moderne Arbeitswelt. Als Schlüssel sei die Sprache. „Gerade bei jungen Leuten zeigt sich, dass Sprachbarrieren ganz schnell überwunden sind“, blickt Froß – optimistisch gestimmt – nach vorne. Mit modernen Übersetzungstools in Internet-Suchmaschinen klappe aber auch in älteren Gruppen die Verständigung. „Das alles ist sicher ein langer Weg, aber er ist gehbar – für beide Seiten“, überwiegt auch bei Stefan Faulstich Optimismus in Sachen Integration.