Rasdorf | Bundespräsident a. D. mit dem Point-Alpha-Preis 2022 ausgezeichnet

„Joachim Gauck war immer mehr als nur der eine!“

Aufarbeiter und Erinnerer, Zuhörer und Lernender, Provokateur und Mahner, Seelsorger und Psychologe, Prediger und Lehrer: Für sein politisches, gesellschaftliches und menschliches Wirken erhielt der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck den Point-Alpha-Preis 2022 für besondere Verdienste um die Einheit Deutschlands und Europas in Frieden und Freiheit. Das Kuratorium Deutsche Einheit zeichnete in Zusammenarbeit mit der Point Alpha Stiftung einen der beliebtesten Politiker für seine vielfältigen Verdienste und die Lebensleistung aus.

„So schön dieser Tag ist, so steht die Preisverleihung doch im Schatten des russischen Überfalls auf die Ukraine. Wir befinden uns mitten in der europäischen Katastrophe. Das zeigt, dass die Einheit und Freiheit Europas keine Selbstverständlichkeiten sind“, sagte Christian Hirte MdB, Präsident des Kuratoriums Deutsche Einheit zur Begrüßung. „Mit Joachim Gauck wird eine Persönlichkeit ausgezeichnet, die gezeigt hat, was es heißt, für die Erlangung von Freiheit zu kämpfen. Die Idee einer freiheitlichen Gesellschaft ist ihm zeitlebens und unter allen Umständen ein zentrales Anliegen.“ Als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen habe er das Amt mit solcher Überzeugung und Überzeugungskraft geführt, dass die Behörde schließlich mit seinem Namen identifiziert wurde. Nach seiner Wahl zum ersten Bundespräsidenten aus dem Osten der Bundesrepublik im Jahre 2012 habe er es überzeugend verstanden, ein überparteilicher Bundespräsident aller Deutschen zu sein.

Paradox prägnant auf dem Punkt

„Als eine der großen Persönlichkeiten unserer Zeit“ beschrieb der Stiftungsratsvorsitzende der Point Alpha Stiftung, Dr. Stefan Heck (MdB), den Preisträger. Seine Biografie spiegele eindrucksvoll die jüngere deutsche und deutsch-deutsche Geschichte wider. Mit Blick auf die Gedenkstätte betonte er: „Freiheit, Frieden und territoriale Integrität unseres Vaterlandes konnten über viele Jahrzehnte nur gesichert werden durch militärische Stärke und ja auch durch glaubwürdige Abschreckung.“ Joachim Gauck habe dieses nur scheinbare Paradox von Friedenssicherung und notwendiger, militärischer Abwehrbereitschaft kürzlich prägnant auf den Punkt gebracht. Er zitierte den Bundespräsidenten a.D. mit den Worten: „Es ist ein Mangel an Realitätssinn, wenn man glaubt, dass fundamentaler Pazifismus Frieden herbeiführen könnte“.

Zahlreiche Ehrengäste und Bürger aus der Region verfolgten den Festakt im US Camp der Gedenkstätte Point Alpha. Die Laudatio hielt Prof. Dr. Andreas Voßkuhle als Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts fällte ein eindeutiges Urteil: „Joachim Gauck war immer mehr als nur der eine!“. In seiner Ansprache spürte Voßkuhle den unterschiedlichen Facetten der Persönlichkeit des 82-jährigen Preisträgers nach, der „in ganz wunderbarer Weise dem Politischen ein menschliches Antlitz verliehen hat und die seine großen Verdienste für unser Land begründen“.

Joachim Gauck bedankte sich berührt für die Auszeichnung. „Es freut mich, wenn hinter Themen und Sätzen die Idee und hinter Haltungen und Gesten das Herz erkannt wird.“ Schnell kam Gauck aber zur Sache und wurde ernst: „Es ist kein Zufall, dass man hier in der Gedenkstätte Point Alpha stehe, sondern das eine Ursache gab, dass Menschen, die sich an Angst und Anpassung gewöhnt hatten, Abschied von der Angst genommen und sich auf den Weg zur Freiheit gemacht haben.“ Die Überwindung von Angst stand auch im Mittelpunkt zu seiner Bewertung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Er plädierte dafür, die lähmende Angst in Mut, Kraft und Energie umzuwandeln, um den Aggressor, der Europa die Feindschaft aufzwinge, mit allen Mitteln entgegenzutreten. Die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, was gewinnen auch immer bedeute.

„Wir können noch mehr tun“

Gauck forderte die Deutschen auf, alles bis zur Grenze des ihnen Möglichen zu unternehmen, um Putins mörderisches Treiben und seinen imperialistischen Wahn ein Ende zu setzen. „Die Grenze ist noch nicht erreicht. Wir können noch mehr tun.“ Er verstehe zwar die Tragweite des moralischen und geopolitischen Dilemmas vor dem man stehe. Schuldig könne aber auch der werden, der nicht handele. Demokratie müsse wehrhaft sein, fuhr Gauck fort, die Ängstlichkeit in unserem Land müsse nicht dominieren. „Ich mag es nicht, wenn Menschen einfach nur zuschauen, sondern sagen: Wir sind die Bürger. Das ist unsere Freiheit und unsere liberale Demokratie und wir werden sie schützen“.

Hessens neuer Ministerpräsident Boris Rhein würdigte den diesjährigen Preisträger des Point-Alpha-Preises mit den Worten: „Es gibt wenige, die sich so stark der Freiheit verschrieben haben wie Joachim Gauck. Die Freiheit war ihm eine Herzensangelegenheit und Leitmotiv seines Wirkens. Joachim Gauck hat sich intensiv dafür eingesetzt, die Erinnerung an die Diktaturen des Kommunismus sowie des Nationalsozialismus wachzuhalten, um den Wert der Demokratie für die Gegenwart und die Zukunft zu stärken und gegen politischen Extremismus zu verteidigen. Er ist ein würdiger Träger des Point-Alpha-Preises.“

„Am Vorabend des 17. Juni an diesem Ort Point Alpha zu sein, ist etwas ganz Besonderes“, sagte Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, und erinnerte an die Schicksale der Bürger, die bei den angeordneten Zwangsaussiedlungen des DDR-Regimes ihre Heimat verloren hatten. Heute, 32 Jahre später, könne man stolz sein auf das in Deutschland Erreichte und auf Point Alpha sei der Wert der Freiheit besonders deutlich erfahrbar.