Hünfeld | Alteingesessenes Geschäft schließt Ende Juni 2022 nach 70 Jahren / Ausverkauf ist bereits gestartet

Dippe-Vocht macht dicht

HÜNFELD. Die Hünfelder Innenstadt verliert bald wieder einen ihrer Traditionsbetriebe: Hausrat Vogt, auch „Dippe Vocht“ genannt, schließt Ende Juni. Doch nicht wegen zu geringer Nachfrage, sondern wegen mangelnder Nachfolge.„Diese Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen. Es ist schade, das Traditionsgeschäft zu schließen, das mein Opa Willy kurz nach dem zweiten Weltkrieg gegründet hatte“, sagt Inhaber Jürgen Dressler. Damals fuhr „Opa Willy“ noch mit dem Fahrrad über Land und verkaufte Haushaltswaren. Das Geschäft in der Kaiserstraße hatte sich stetig vergrößert, und im Jahr 1986 gab es einen großen Umbau. „Wir haben in all den Jahren viel Herzblut ins Geschäft gesteckt. Aber ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, an dem es für mich heißt: Jetzt musst du kürzer treten“, sagt der 61-Jährige und betont, dass der Entschluss nicht kurzfristig gefallen sei: „Wir überlegen schon seit dem vergangenen Jahr.“
Es sind außerdem keine wirtschaftlichen Gründe, die ihn und seine Familie zu diesem Schritt bewegen. Die Umsätze seien gut gewesen, auch wenn sich in den vergangenen Jahren im Bereich Haushaltswaren Veränderungen abgezeichnet haben. „Die typischen Hochzeitstische für Brautpaare oder die Aussteuer für junge Frauen gibt es schon lange nicht mehr. Ein schön gedeckter Tisch mit tollem Geschirr oder edlen Weingläsern ist heute auch nicht mehr so gefragt“, so Dressler. Das klassische Haushaltswarengeschäft sterbe aus, und ein Einzelhandelsgeschäft mit einer Sortimentszusammenstellung wie Hausrat Vogt sie hat, gebe es so gar nicht mehr. Von einem Vertreter wurde das Fachgeschäft sogar einmal als Dinosaurier in der Branche bezeichnet, erzählt Dressler. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb fanden viele Kunden bewusst den Weg zu „Dippe Vocht“, um sich nach schönen Wohnaccessiores, Geschenkartikeln oder Hausrat umzuschauen. „Es gibt einige Kunden, die wirklich bewusst in den Hünfelder Geschäften einkaufen und den innerstädtischen Handel damit unterstützen“, erklärt der Hünfelder, wobei er auch anmerkt, dass da noch Luft nach oben ist. Es könnten noch etwas mehr Touristen in der Stadt unterwegs sein, die dann in den Geschäften stöbern, findet er.
Einen kleinen Boom gab es bei Hausrat Vogt ausgerechnet im Lockdown-Jahr 2020: „Die Leute waren mehr zu Hause und haben gekocht und gebacken. Wir haben noch nie so viele Pfannen, Töpfe oder Backformen verkauft wie in den vergangenen zwei Jahren.“
Es liege also nicht an der geringeren Nachfrage, sondern vielmehr an der mangelnden Nachfolge, die zum Aus des Traditionsgeschäftes führte. So hatten sich die beiden Kinder Dresslers früh entschieden, nicht in die Fußstapfen von Vater Jürgen zu treten und eine ganz andere Berufsrichtung eingeschlagen. Und Nachfolger für ein Einzelhandelsgeschäft mit diesem Sortiment in einer Kleinstadt zu finden, sei heutzutage schwierig. „Viele haben einProblem mit dem hohen Zeiteinsatz. Man steht eben montags bis samstags von morgens bis abends im Geschäft“, sagt Dressler, der den Familienbetrieb nach kaufmännischer Ausbildung und Betriebswirtschaftsstudium im Jahr 1992 von seinen Eltern Inge und Theodor übernommen hatte. Als Inhaber könne man eben nicht nach acht Stunden in den Feierabend gehen, man lebe mit und für das Geschäft. Außerdem fehle vielen die Perspektive: Sich gegen Online-Shopping im Internet durchzusetzen, sei schwer. Dressler fürchtet um die Sortimentsvielfalt und die individuellen Läden in den Innenstädten. „Es ist wichtig, dass die Leute Ware in den Schaufenstern sehen können. Dann haben sie auch Lust, zu bummeln oder einkaufen zu gehen“.
Von seinen Kunden verabschiedet sich das Team von Hausrat Vogt mit einem großen Dankeschön für ihre jahrzehntelange Treue. Ein Feedback zur Geschäftsschließung habe er schon von einigen Kunden erhalten: Schade, aber es ist in Ordnung. Zwischenzeitliche Zweifel an der Geschäftsaufgabe haben sich nach und nach gelegt: „Es fühlt sich alles richtig an. Der Weiterentwicklung und das Weiterführen des Geschäfts, aber auch die Entscheidung, dem nun ein Ende zu setzen“, sagt Jürgen Dressler. So ganz kann er allerdings noch nicht loslassen: Weiterhin wird er für seine Kunden über die Internetseite „mein-living.de“ Waren aus dem Sortiment anbieten.
Wie die Geschäftsräume künftig genutzt werden sollen, steht noch nicht fest. „Mir wäre es am liebsten, wenn hier wieder ein Handelsgeschäft einziehen würde“, wünscht sich der Hünfelder, der sich nun auf mehr Zeit mit seinen zwei Enkeln und ausgiebigen Wandertouren durch die Rhön freut. Ansonsten will er die Zeit nach der Geschäftsaufgabe auf sich zukommen lassen. „Meine Frau hat mir schon angekündigt, dass ich dann einmal in der Woche kochen muss“, verrät Dressler. Aktuell sind im Rahmen des Räumungsverkaufs Sonderangebote erhältlich, so gibt es auf Markenware 20 Prozent.