Ebersburg | Neue Natur- und Bauernhof-Kita Ried einzigartig in Hessen

Wo Kinder täglich gärtnern, auf Regenwurm-Jagd gehen und Schlepper beobachten

Die Natur- und Bauernhof-Kita Ried ist, soweit bekannt und nachprüfbar, Hessens erste Einrichtung dieser Art, die direkt an einen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb angegliedert ist und sich darüber hinaus in kommunaler Trägerschaft befindet. Vor diesem Hintergrund bekam Bürgermeisterin Brigitte Kram (CDU) immer wieder verschiedene journalistische Anfragen von Medienvertretern. Jetzt lud sie, abgestimmt mit den Eigentümern der Immobilie, zu einem Rundgang und einer Präsentation des pädagogischen Konzepts ein.

Von Mirko Luis

Das Wetter – stahlblauer Himmel und Sonnenschein – schien wie bestellt zu sein. „Wir wollten erst alle Behördentermine unter Dach und Fach bekommen – denn eine Kita wie diese zum Betreiben ist etwas sehr Spezielles und auch für die Behörden Neuland“, nannte die Rathauschefin bei ihrer Begrüßung den Grund für den gewählten Termin. So befindet sich die Einrichtung, die am 1. März offiziell eröffnet hatte, in wenigen Tagen schon einen guten Monat in Betrieb. Bis zu den Sommerferien werden zehn Kinder hier nach Herzenslust draußen auf Suche nach Regenwürmern gehen, auf dem Erdhügel herumtoben, kreativ selbst gärtnern und beobachten können, wie auf den Feldern ringsherum Schlepper ihre Arbeit verrichten und das Getreide oder Sonnenblumen wachsen.

„Draußen-Kita“ für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren

Die Gemeinde Ebersburg hat laut Bürgermeisterin Brigitte Kram bereits drei „Hauskitas“. Die Natur- und Bauernhof-Kita Ried sei die vierte – eine, wie Kram sie nennt, sogenannte „Draußen-Kita“. Zielgruppe seien Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. 

Die Standortentscheidung der gemeindlichen Gremien war im März vorigen Jahres gefallen. Die Einrichtung befindet sich auf dem landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Baumgarten, dem Ritzelshof. Dort steht für die Kinder eine weiträumige Naturfläche von ca. 800 Quadratmetern zur Verfügung. Der Außenbereich umfasst neben einem aktiven Nutzgarten und Obstbäumen genügend Platz zur freien Entfaltung und ist mit einem Zaun umgeben. Im Außenbereich soll unter anderem noch ein kleiner Wasserlauf angelegt werden, kündigte die Bürgermeisterin während des Rundganges an.



Belegung der Einrichtung erfolgt etappenweise

Die Kita und hat eine Maximalkapazität von 25 Plätzen und hat von Montag bis Freitag täglich sieben Stunden geöffnet (8 bis 15 Uhr). Leiterin der Einrichtung ist mit Kerstin Beck eine Facherzieherin für Natur- und Waldpädagogik. Zum dreiköpfigen Erzieherteam gehören außerdem Madita Böhm und Andrea Farnung (Heilpraktikerin und Kräuterpädagogin). Nach Angaben der Rathauschefin läuft der Mietvertrag zunächst für zehn Jahre. Die Belegung der Einrichtung erfolgt etappenweise. Im Moment betreut die Einrichtung vier Kinder, bis zu den Sommerferien werden es bereits zehn sein. „Für eine Kita, die bei Null startet, ist es erst einmal gut, wenn sie nicht gleich mit einer zu hohen Belegung startete, da sich viele Tagesabläufe einspielen und sich die Kinder eingewöhnen müssen“, so die Bürgermeisterin.

Was war doch gleich ein Auszugshäuschen?

Wenn das Wetter ein Spielen auf dem großzügigen Gelände einmal nicht erlaubt, bietet das einstige Auszugshäuschen aus dem Jahre 1920 eine hohe Aufenthaltsqualität, die der in einem Neubau in nichts nachsteht. Diese besondere Gebäude dienten auf bäuerlichen Gehöften seinerzeit als Wohnstätte der Altbauern, die den Hof an ihre Erben übergeben hatten. In dem konkreten Fall handelt es sich um das einstige Wohnhaus der Urgroßeltern von Agrarbetriebswirt Andreas Baumgarten, der den Familienbetrieb in fünfter Generation führt.



Charme des gut 100-jährigen Gebäudes erhalten – nicht alles muss immer neu sein

„Wir haben Wert darauf gelegt, den alten Charme des Gebäudes zu erhalten und den Eltern zeigen, dass nicht alles, was schön ist, unbedingt neu sein muss“, betont der Landwirt. Die Neuerschließung des zuvor lange Jahre leerstehenden Gebäudes selbst sei im Spätsommer gestartet – unter anderem wurde fleißig gemalert, das Dach erneuert, die Elektrik auf den aktuellsten Stand gebracht und moderne Sanitäranlagen für Personal und Kinder installiert. „An den Arbeiten waren nicht nur Firmen beteiligt, die wir bereits kannten, sondern auch einige neue dabei, zum Teil Einmann-Betriebe, die top zuverlässig waren. Die Beteiligten hatten sich mit viel Hingabe dem Projekt gewidmet und offensichtlich viel Spaß dabei, denn wir bekamen die Zusage, dass im Frühjahr, sobald es wärmer ist, noch die Haustür restauriert wird“, berichtete Andreas Baumgarten.

Verständnis für die Natur wird gefördert

Genaue Zahlen zur Investitionshöhe nannte Andreas Baumgarten der Öffentlichkeit zwar nicht. Seine Frau Lena Johanna Hennig, wie er gelernte Agrarbetriebswirtin (Landwirtschaftsamt Main-Kinzig-Kreis), verdeutlichte jedoch, dass die Mieteinnahmen in zehn Jahren in jedem Fall unter dem Wert lägen, der investiert worden ist. Abgesehen davon, dass ihr eigener Sohn Ole die Kita besuche und sie ihn somit in besten Händen wüssten, habe man eine klare Intention. „Es ist wichtig, dass mehr Menschen verstehen, dass man mit der Natur zusammenarbeiten und sie sich auf diese Weise zunutze machen muss“, so Hennig, die sich schon länger mit der Öffentlichkeitsarbeit in und für die Landwirtschaft beschäftigt, Projekte wie „Bauernhof als Klassenzimmer“ betreut und sich als Mitglied im Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit des Kreisbauernverbandes Fulda sowie im Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) engagiert.

Ökologische Kreisläufe praktisch erlernen

Da es immer schwerer werde, der Gesellschaft landwirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären, habe die Familie die Gesellschaft durch den Betrieb einer Kita in kommunaler Trägerschaft quasi auf den Ritzelshof geholt. Kinder sollen auf dem Ritzelshof die Möglichkeit bekommen, ökologische Kreisläufe praktisch zu erlernen sowie die Lebensmittelerzeugung und in Teilen deren Verarbeitung zu erfahren. Die Umsorgung kleiner Nutztiere, wie zum Beispiel Hühner, rundet das Konzept ab. „Menschen, die in der Natur groß werden, finden ein viel besseres Verständnis für den Umgang mit ihr als Leute, die das Ganze nur im Schulunterricht lernen oder sich später beruflich damit beschäftigen müssen“, ergänzt Andreas Baumgarten.

Idee nach der Geburt von Sohn Ole immer konkreter

Die Idee für eine Natur- und Bauernhof-Kita reifte, wurde nach der Geburt von Sohn Ole immer konkreter. Die beiden Idealisten, die auch andere Kinder von dem Privileg des Aufwachsen und Lebens inmitten der Natur schenken wollten, fassten sich im Oktober 2020 ein Herz und meldeten einen Termin bei Bürgermeisterin Brigitte Kram an. Letztere erinnert sich noch ganz genau daran. „Sie rückten nicht damit raus, worum es geht – inhaltlich hätte es ja auch noch viele andere Alternativen geben können“, so Kram. Da sie die beiden aber gut kenne, täuschte sie ihre Intuition nicht: „Gell, ihr seid da, weil ihr gerne eine Bauernhof-Kita auf den Weg bringen würdet“, begrüßte Kram ihre Gäste. Die seien ganz perplex gewesen, weil sie ihnen damit den Überraschungsmoment genommen hatte. Der Rest ist Geschichte.

Gemeinde Ebersburg hatte Ähnliches ohnehin vor

Die gemeindlichen Gremien hatten das Vorhaben nach Marktkorb-Informationen von Anfang an als Gewinn gesehen, prüften aber auch mögliche Alternativstandorte. Für die kindergartenspezifische Gestaltung im Außen- und Innenbereich entsprechend der gesetzlichen Vorgaben trug die Gemeinde die Verantwortung. Die Zimmer sind mit viel Liebe zum Detail eingerichtet worden und versprühen Charme und Gemütlichkeit. Eine naturnahe Kita zu betreiben, in der gezeigt wird, wie frühere Generationen einmal gelebt haben und zum Teil heute noch leben, habe unabhängig vom Projekt der Familie Baumgarten bereits auf der Agenda gestanden, sagte die Bürgermeisterin während ihres Rückblicks. „Wobei wir keine ausdrückliche Waldkita wollten – es ging ums immer darum, eine Fläche in Waldnähe zu haben, wo Gartenbau betrieben wird“, so die Kommunalpolitikerin. So früh wie möglich das Verständnis zu fördern, was es bedeutet, Lebensmittel zu produzieren, sei wichtiger denn je. Wobei hierzu nicht nur Gemüse, sondern auch die Fleischproduktion gehöre.

Vorreiterrolle im sozialen Bereich

Kram ist sich übrigens der Tatsache bewusst, dass die für ihre exzellente Familienpolitik bekannte Gemeinde mit der Eröffnung einer solchen Einrichtung erneut eine Vorreiterrolle im sozialen Bereich übernimmt. Der pädagogische Ansatz der Einrichtung, so ihre Botschaft, müsse jedoch unter gesamtgesellschaftlichen Aspekten noch viel stärker verbreitet werden, wünscht sich Kram. Dabei gehe es mitunter um ganz banale Dinge – wie etwa, dass Erdbeeren zu Weihnachten nicht normal sind. Auch dass Tiere zu haben Verantwortung bedeutet und sich deren Versorgung nicht nach den Ferien der Kinder richtet, gehöre Kindern stärker vermittelt.

Weitere spannende Details zur neuen Einrichtung sowie Elterninformationen gibt’s hier:
wwww.natur-und-bauernhofkita-ried.de

Kontakt zur Natur- und Bauernhof-Kita Ried:

E-Mail: Kita-Ried@Ebersburg.de
Tel.: (06656) 982-11

ÜBER DAS FAMILIENUNTERNEHMEN BAUMGARTEN
2009 hatte Andreas Baumgarten den elterlichen Betrieb von seinem Vater Josef übernommen und führt diesen seither als Ackerbau- und Veredelungsbetrieb, der Kreislaufwirtschaft betreibt. Die Stallungen bieten Platz für 1.400 Schweine, die mit selbst angebautem Getreide gefüttert werden. Mit der Ressource Boden geht der Betrieb verantwortungsvoll um. Die Frau von Andreas Baumgarten, Lena Johanna Hennig, hat ebenfalls eine Ausbildung zur Agrarbetriebswirtin absolviert, arbeitet beim Landwirtschaftsamt Main-Kinzig-Kreis in Teilzeit und beschäftigt sich schon länger mit der Öffentlichkeitsarbeit in und für die Landwirtschaft. „Das Leben in der Natur und auf einem Bauernhof empfinden wir als Privileg. Kinder daran teilhaben zu lassen ist das Fundament unserer Idee“, sagte sie in einem auf dem Online-Portal der Deutschen Landwirtschaft-Gesellschaft (DLG) nachzulesenden Interview.