Fulda | Wirtschaftskrise in Russland mit Auswirkungen auf Unternehmen in Osthessen

IHK-Experte Martin Räth: „Direkt betroffen ist nur ein kleiner Teil“

Für vor den Embargos gelieferte Güter müssen osthessische Unternehmen im schlimmsten Fall mit Ausfällen oder erheblich späteren Zahlungen rechnen. Das erklärte Martin Räth, Abteilungsleiter International bei der Industrie- und Handelskammer in Fulda, gegenüber den Wochenblättern der Mediengruppe Parzeller.

Von Mirko Luis

Hintergrund ist Räth zufolge, dass russische Banken teilweise aus Swift – dem weltweiten Telekommunikationsnetzwerk für Banken – ausgeschlossen wurden. Auskünfte dazu können die Betriebe über ihre kontoführende Bank einholen. „Das gilt natürlich auch dann, wenn ein Unternehmen erst jetzt embargobefreite Waren versenden will“, so der osthessische Handelsexperte. Schließlich gewähre der Bund zurzeit keine Exportkreditgarantien (sogenannte Hermesdeckungen) für Neugeschäfte. Somit verbliebe das Risiko eines Zahlungsausfalls vollständig beim Unternehmen. „Wir empfehlen bei der bestehenden Unsicherheit außerdem, nur dann zu fertigen oder an eine Lieferung zu denken, wenn der russische Empfänger die Ware vorab (Vorkasse) bezahlt hat“, so Räth. Ob Embargos der EU die russische Regierung dazu bewegen, deutsche Unternehmen zu enteignen, und weitere Fragen beantwortete Räth in nachfolgendem Interview.

Wie sehr macht die Wirtschaftskrise in Russland osthessischen Industriebetrieben zu schaffen?
Kriege sind generell keine gute Basis für Geschäfte. Offizielle personen- oder güterbezogene Embargos – wie die der Europäischen Union (EU) gegenüber Russland und Belarus – schränken den Handlungsspielraum der wirtschaftlich tätigen Akteure in Ost und West erheblich ein. Wie stark ein einzelnes Unternehmen davon betroffen ist, hängt von der Intensität der geschäftlichen Beziehung ab. Direkt betroffen von den osthessischen Unternehmen ist nur ein kleiner Teil. Indirekt dagegen leiden die Unternehmen in der Region unter den explodierenden Rohstoff- und Energiepreisen. Zulieferer in der Ukraine fertigen eingeschränkt oder gar nicht mehr. Basisstoffe wie Eisenerz, Graphit, Titan oder Nickel aus dem rohstoffreichen Land bleiben aus.
Zu erheblichen Belastungen führen die schnell steigenden Strom-, Gas- und Treibstoffpreise. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) muss jeder zweite Betrieb seine Strom- und Gasversorgung für 2022 noch vertraglich absichern. Wegen der recht hohen Preise in den Vormonaten warteten viele ab oder schlossen nur kurzfristige Verträge mit den Versorgern. Diese abwartende Politik schlägt jetzt zurück. Wichtig sind daher staatliche Maßnahmen, die zur Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen beitragen. Ein Anfang ist die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Juli 2022. Aber das alleine reicht nicht aus, da solche Einzelmaßnahmen nur Bruchteile der gestiegenen Energiekosten ausgleichen.

Sind vielleicht sogar Standorte osthessischer Unternehmen in Russland gefährdet, da diesen die Verstaatlichung droht?
Es ist zu früh, um von dem Risiko einer möglichen Verstaatlichung deutscher Betriebe in Russland zu sprechen. Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass die Embargos der EU die russische Regierung dazu bewegt, deutsche Unternehmen zu enteignen. Auch lokale Betriebe mit produzierenden Niederlassungen äußerten uns gegenüber noch keine Besorgnis.

Besteht bei osthessischen Firmen mit Russland-Geschäft erhöhter Beratungsbedarf?

Tatsächlich haben wir keine erhöhte Nachfrage im Tagesgeschäft festgestellt. Allerdings haben die IHKs in Deutschland sehr schnell ausführliche Informationen über ihre Internetseiten bereitgestellt. Parallel laufen Veranstaltungen zum Thema „Russland-Belarus-Embargos“. Hinzu kommen Informationsangebote des Zolls, vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und der EU-Kommission. Wer also Informationen braucht, findet schnell viele Quellen. Wie die Informationsquellen zu lesen sind, schulen wir in regelmäßigen Seminaren.