Fulda | Fuldas Dehoga-Chef Steffen Ackermann sieht Licht am Ende des Corona-Tunnels

Osthessens Gastro-Branche fährt wieder hoch

Die Wirtschaft boomt – und mit Blick Richtung Ostern und Frühjahr sowie auf die von der Politik angekündigten Lockerungen der Corona-Regeln schöpfen auch Hotel- und Gaststättenbetreiber wieder Hoffnung.„Der Individualtourismus läuft wieder an, Hotelgäste buchen wieder, wir merken seit zwei bis drei Wochen, dass wieder Anfragen kommen“, sagt der Fuldaer Dehoga-Chef Steffen Ackermann (41).

Von Mirko Luis

Wo es derzeit noch stocke, sei der Tagungstourismus. „Hier muss es erst mehr Verlässlichkeit geben, ob eine Tagung tatsächlich stattfinden kann“, so Ackermann, zugleich Vizepräsident des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in Hessen. Er ist sich sicher, dass ab Märzund April – sobald die Sonne herauskommt – Radfahrer, Wanderer, Tagesgäste und Wochenendtouristen unterwegs sind und sich dies im Gastgewerbe deutlich be- merkbar machen wird. „Mittlerweile bleiben Gäste eine Woche in Fulda und Umgebung. Das haben wir früher selten gehabt, und es zeigt, dass die Region interessant ist und viel anbietet“, so Ackermann. Aktuell würden sich die meisten Betriebe damit beschäftigen, die Örtlichkeiten auf Vordermann zu bringen, neue Ware einzukaufen und attraktive Angebote zu schnüren. Man müsse bedenken, dass einige Betriebe, bedingt durch die umstrittenen 2G-Plus-Regeln, ihre Betriebe zugemacht hätten und diese jetzt erst wieder inklusive des Personals erst wieder hochfahren müssten. Ackermann warnt in diesem Zusammenhang in Richtung Politik mit deutlichen Worten: „Ich glaube, wir können uns weitere zwei Jahre, so wie wir sie hatten, nicht noch einmal leisten.“ Mit Nachdruck habe er vor Kurzem Politiker der Region hingewiesen, dass der Branche kein weiteres Mal eine 2G-Regel oder 2G-Plus-Regel zugemutet werden dürfe, „weil dann keiner weiß, wie er das noch überleben soll“.

„Wo kein Gasthaus mehr ist, sieht es ziemlich trostlos aus.“ Steffen Ackermann, Vizepräsident des DEHOGA in Hessen

 

Corona-Lockerungszug setzt sich endlich in Bewegung

Wir sprachen jetzt mit dem Dehoga-Vertreter über Chancen für einheimische Gastronomen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Sind Sie erleichtert, dass die Politik das Signal für den Corona-Lockerungszug endlich in Bewegung gesetzt hat – wie ist die Stimmung in Ihrer Branche?
Wir haben ja als Verband die Öffnungsschritte schon lange gefordert – insofern gehen die Beschlüsse der Regierung in die richtige Richtung. Alles andere wäre nach meinem Dafürhalten auch nicht mehr erklärbar gewesen. Und ich denke, dass Öffnungen vertretbar sind, weil der befürchtete Kollaps auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern ausgeblieben ist. Ich persönlich war am meisten enttäuscht, dass für die Politik private Treffen anscheinend weniger gefährlich waren, als wenn sich Menschen in einem sicheren Gastraum treffen – also dort, wo Maske getragen und streng kontrolliert wurde. Die 2G-Regel und 2G-Plus-Regel hat viel kaputt gemacht – und bei vielen Gastronomen die Motivation irgendwann sterben lassen.

Wie gut ist die Gastro-Branche durch die Pandemie gekommen?
Unsere Branche ist sehr heterogen aufgestellt. Das Bistro, die Diskothek, die Eckkneipe, das Gasthaus, das Tagungszentrum oder das Kongresszentrum waren und sind vor ganz unterschiedliche Herausforderungen gestellt. Meiner Einschätzung nach sind die inhabergeführten Familienbetriebe vielleicht mit der Situation ein bisschen besser zurechtgekommen als die größeren Betriebe. Im Rhein-Main-Gebiet gibt es beispielsweise Tagungshotels, die seit dem ersten Lockdown geschlossen sind, weil einfach keine Nachfrage da ist. Ob und wie sich die Tagungshotellerie erholt, werden wir sehen. Ich bin aber optimistisch, dass wir ein gutes Frühjahr bekommen. Grundsätzlich glaube ich, dass Hotellerie und Gastronomie in Osthessen qualitativ gut aufgestellt sind. Ich kenne kaum noch eine Kollegin oder einen Kollegen, der nicht renoviert hat, der sich nicht ökologisch umstellt oder Arbeitsprozesse verändert.

Sie haben gemeinsam mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier die zweite Auflage des Wettbewerbs „Die besten Dorfgasthäuser in Hessen“ gestartet – welche Effekte versprechen Sie sich hiervon?
Die wichtigste Währung im Internetzeitalter ist Aufmerksamkeit – mit dem Wettbewerb möchten wir an die Bevölkerung appellieren: Geht in Eure Gasthäuser, unterstützt diese. An Orten im ländlichen Raum, wo früher mal sieben oder acht Kneipen waren, ist heute teilweise gar nichts mehr. Wir müssen das aufhalten und können nur versuchen, da gegenzusteuern. An welchen Ort kann man denn auf dem Dorf heutzutage noch hingehen? Da ist das Gasthaus nun mal der Ort, wo sich der Verein trifft, sich Freunde oder Freundinnen verabreden, politische Veranstaltungen, Familien- und Firmenfeiern abgehalten werden können. Und auch für den Tourismus sind Gasthäuser extrem wichtig. Wo kein Gasthaus mehr ist, sieht es ziemlich trostlos aus. Gasthäuser begleiten uns von der Geburt bis zum Tod. Deshalb ist es so wichtig, dass dieses Kulturgut erhalten bleibt.

Inwiefern haben sich die Gäste verändert?
Meiner Beobachtung nach rückt immer mehr die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern in den Fokus – Transparenz der Lieferketten, saisonale Frische der Produkte sowie gesunde und nachhaltige Ernährung gewinnen immer mehr an Bedeutung. Junge Leute essen kaum noch Fleisch. Die moderne Frau sieht lieber, dass der Mann die Hand am Kinderwagen anlegt und mit ihr spazieren statt zum Frühschoppen geht. Auch darauf müssen sich Gastgeberinnen und Gastgeber einstellen und beide bewirten, wenn sie nach dem Familienausflug noch einen Kaffee oder ein Stück Kuchen essen wollen. Das Geschäft, wie wir es von vor 20 oder 30 Jahren kennen, wird so nicht mehr wiederkommen.

Setzen Sie als Verband noch weitere Akzente?
Wir planen, die „Roadshow: Gasthaus trifft Rathaus“, mit der wir in Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht haben, wieder mit ins Programm zu nehmen. Übers Land zu fahren und vor Ort mit Bürgermeistern, Ortsvorstehern, Feuerwehren und Verwaltungen zu sprechen, schafft gegenseitiges Verständnis und ein nützliches Netzwerk. Wenn wir mehr miteinander reden würden, wäre vieles sicher nachvollziehbarer und einfacher. Mich haben in den letzten zwei Jahren einige Bürgermeister angerufen. Einmal wurde ein Café frei, für das ein Nachfolger gesucht wurde, das andere Mal stand ein Gasthaus leer. Für potenzielle Betreiber war das natürlich der denkbar ungünstigste Zeitpunkt – auch ich habe da niemanden gefunden. Doch die Anrufe zeigen mir, dass ein Umdenken in den Gemeinden im Gange ist. Es liegt an der Affinität von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Gastwirten in ihrem Ort unter die Arme zu greifen – manchmal reicht da schon Hilfe beim Pflastern der Terrasse. Am Ende kommt das ja wieder dem Tourismus zugute. Eine Investition in die touristische Infrastruktur ist außerdem immer eine Investition in die eigenen Bürgerinnen und Bürger.

Müssen oder werden sich die Preise infolge der gestiegenen Energie-und Rohstoffpreise ändern?
Die Preise werden sich definitiv verändern. Ich kann Gastronomen nur dazu ermutigen, sehr genau und vor allem nicht zu knapp zu kalkulieren, weil da sehr viel dran hängt: Wir wollen Mitarbeitende ordentlich bezahlen, in gute Lebensmittel und attraktive Gastroeinrichtungen investieren. Dennoch müssen wir es schaffen, dass das Gastgewerbe nicht nur für Besserverdienende da ist. Es muss auch für Menschen, die für Gehälter auf einem Niveau rund um den Mindestlohn herum arbeiten, weiterhin erschwingliche Angebote geben.

Letzte Frage für heute: Wie möchten Sie junge Leute für Gastronomieberufe begeistern?
Um die Berufe fühlbar, schmeckbar und erlebbar zu machen, wollen wir an unser sechs Jahre lang erfolgreich praktiziertes Ausbildungsprojekt Heimat anknüpfen. Hierbei wurden Schülerinnen und Schüler (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) von der 7. bis zur 9. Klasse einmal pro Jahr zu einem Ausbildungsmarktplatz eingeladen, bei dem sich Ausbildungsbetriebe der Region vorstellen und durch verschiedene Bereiche – von der Küche bis zur Cocktail-Bar – führen konnten. Das hat immer sehr gut funktioniert, und wir haben daraus sehr viele Praktika generieren können. Aufgrund der Pandemie waren uns lange die Hände gebunden – aber jetzt hoffen wir, zum Ende des Jahres hin endlich wieder durchstarten zu können.

ZUR PERSON
Name: Steffen Ackermann
Alter: 41
Geburtsort: Eisenach
Wohnort: Fulda
Beruf: Hotelfachmann, Hotelbetriebswirt
Vision: Gastgewerbe als Kulturgut und Grundversorger in den Köpfen der Menschen

HINTERGRUND
Das Gastgewerbe ist in Osthessen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor mit mehreren tausend Beschäftigten. Dehoga-Zahlen zufolge gehört die Branche zu den ausbildungsstärksten in Deutschland – mit durchschnittlich einem Auszubildenden je 23,8 Beschäftigten (Gesamtwirtschaft = je 58,9 Beschäftigte). Für viele Menschen ist Koch der schönste Beruf der Welt, bietet er doch unfassbar viele Möglichkeiten, um kreativ arbeiten zu können. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer spannender Berufe in der Gastronomie. Unsere Region punktet seit Jahren mit dem Ausbil- dungsprojekt „HEIMAT – lernen – ausbilden – genießen“ und verfügt zudem mit der Eduard-Stieler-Schule über eine überregional bekannte Hotelfachschule so- wie modernes Berufsschulzentrum für angehende Fachkräfte in Gastronomieberufen.

ÜBER DEN WETTBEWERB „DIE BESTEN DORFGASTHÄUSER IN HESSEN
Rund 180 Bewerbungen sind beim Dehoga Hessen beim Wettbewerb „Die besten Dorfgasthäuser in Hessen“ eingegangen. Das verriet Fuldas Dehoga- Chef Steffen Ackermann, zugleich stellvertretender Vor- sitzender des Dehoga Hessen. Gemeinsam mit Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte er den Wettbewerb, der nach seiner Premiere 2018/19 zum zweiten Mal stattfindet, eröffnet. Den Siegern des Wettbewerbs winkt neben einer Urkunde eine Plakette für das Gasthaus sowie die Aufnahme im Gastronomieführer “ mit einer Auflage von 30.000 Stück. Die Siegerehrung soll im Frühjahr in Fulda stattfinden – Ort und Datum sind noch offen. Mit dem Wettbewerb wolle man die Menschen ermuntern, ihr heimisches Gasthaus zu besuchen.