Künzell | Lebersberg soll Kalkmagerrasen werden

Natur-Paradies mit großem Potenzial

Bis sich aus einem Samenkorn eine schöne, blühende Pflanze entwickelt, vergeht eine geraume Zeit. Für die in der freien Natur selten vorkommende Küchenschelle, Orchideen und weitere Natur-Raritäten ist der Anfang gemacht. Am Lebersberg – einem Ort, an dem noch bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrunderts Muschelkalk zum Kalkbrennen abgebaut wurde – fiel der Startschuss für ein vielversprechendes Naturschutz-Gemeinschaftsprojekt.

Von Mirko Luis

Über Details informierten am Mittwochnachmittag Vertreter des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie (HGON) die Öffentlichkeit. Aufgrund der kalkhaltigen Bodenstruktur sehen Naturschutzexperten großes Potenzial, die Fläche zu einem so genannten „Kalkmagerrasen“ zu entwickeln – ein artenreiches, wertvolles Biotop, in dem sich schon bald die farbintensiven Blüten der Küchenschelle im warmen Wind wiegen könnten wie tanzende Mädchen in ihren Sommerkleidern – wie es vielleicht Poeten á la Theodor Storm ausgedrückt hätten.

Nach Angaben des renommierten Rhöner Botanikers Uwe Barth hat der Botanische Garten der Philipps-Universität Marburg, der bereits 2015 zwei umfangreiche Wiederbesiedlungen mit der Küchenschelle im Wetteraukreis vorgenommen habe, Mitwirkung signalisiert. Dem Vernehmen nach zieht der Botanische Garten aus dem zur Verfügung gestellten Samen kleine Pflänzchen groß, die zur Anpflanzung auf dem Lebersberg bestimmt seien. „Aber erst mal müssen wir sehen, was noch im Boden ist“, so Biologe Barth, der auf das jährliche Beobachtungs-Monitoring der Fläche in Dietershausen übernehmen wird. Er hofft und rechnet mit einer Vielzahl noch erhaltener Samen im Erdreich und ist auf erste sichtbare Effekte im Frühjahr gespannt. Dem schloss sich Reinhard Kolb an: „Die Damen sind eingeladen, mit ihren Männern im Frühjahr mal hierher zu gehen, sich die Entwicklung anzuschauen und am schönen Anblick zu erfreuen.“

Uwe Barth zufolge war der Lehersberg Gelehrten schon im 19. Jahrhundert ein Begriff – das dortige Vorkommen der Küchenschelle sei bereits 1868 als „bedeutendes Vorkommen“ erwähnt worden und gelte als eines der ältesten in Deutschland.

„Wir unterstützen das Projekt mit 10.000 Euro“, verriet unterdessen Martin Kremer von der Hessischen Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön auf Anfrage unserer Zeitung. Ideengeber Joachim Walter, Ranger im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön, wies auf die kontinuierliche Pflege hin, die die Fläche benötige. In absehbarer Zeit sei der Einsatz eines Schleppers realistisch.

Nach anfänglichen Versuchen, mit einer Ziegenbeweidung die Verbuschung zu stoppen, befindet sich am Lebersberg seit Januar schweres Gerät im Einsatz. Damit sich Kalkmagerrasen entwickeln kann, wurde das offiziell als „Schutzgebiet für Küchenschellen, Orchideen und Eidechsen“ ausgewiesene Areal von Gehölzen und Buschwerk befreit und die näherstoffreiche obere Bodenschicht bis auf den Kalkstein abgetragen. Ziel ist laut HGON eine offene Fläche, welche ohne Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden ein bis zwei Mal jährlich zu den passenden Zeitpunkten gemäht werden kann. Hierdurch würden Pflanzen und Tiere gefördert, die nur auf solchen mageren und warmen Standorten überleben könnten. Hiervon profitieren beispielsweise Wildbienen genauso wie Schmetterlinge oder Heuschrecken. Die Findlinge am Wegesrand organisierte die Gemeinde Künzell.

HGON-Aktivposten Reinhard Kolb (78), der in seinem Berufsleben als Geschäftsführer die Geschicke von Opel-Fahr leitete, schilderte den Werdegang des Projekts von den Anfängen bis in die Gegenwart. Dabei unterstrich er, dass die treibende Kraft, die ihn persönlich und die HGON letzendlich zum Erwerb des Areals angeregt habe, der an diesem Tag wegen eines Krankenhausaufenthaltes verhinderte Dietershausener Heimatfreund Bernhard Müller (83) gewesen sei. Dieser habe viel Liebe und Leidenschaft für den Lebersberg entwickelt und ihn immer wieder auf das Thema angesprochen. Schon 2010 hatte Kolb Gespräche mit dem vormaligen Besitzer aufgenommen, die in der Verkaufsbereitschaft mündete. Inzwischen hat die HGON einen Teil der Fläche erworben. Zuvor hatte die Gemeinde Künzell grünes Licht gegeben.

Holger Phillipp, Ortsvorsteher von Dietershausen, bekam nach eigenen Angaben eine Vielzahl von Anrufen. „Was machen die da?“, wurde er gefragt. Und ähnlich wie Bürgermeister Timo Zentgraf wurde er mit Mutmaßungen konfrontiert, Naturschützer, die den Berg gekauft hätten, würden alles wild abholzen und kaputt machen. „Das mich Reinhard Kolb in das Projekt mit eingebunden hatte, konnte ich die Bevölkerung beruhigen und aufklären“, so Phillipp. „Tatsache ist, dass hier endlich etwas passiert. Wir sind nun mal der schönste Fleck in Künzell und haben Interesse daran, dass dies so bleibt.“ Die Jugendfeuerwehr plane eine Steinelesen-Aktion und auch der örtliche Verkehrsverein wolle das Projekt in der Zukunft wohlwollend begleiten.

„Der Ortsvorsteher betont immer, dass Dietershausen der schönste Ortsteil ist. Ich widerspreche ihm nie“, sagte Rathauschef Timo Zentraf mit Augenzwinkern. Zugleich wies er darauf hin, dass Dietershausen auch der höchstgelegene Ortsteil sei. Zentgraf kündigte an, zur weiteren Attraktivitätssteigerung für den Sternenpark einen Himmelsschauplatz in Dietershausen installieren zu wollen. Mit Blick auf das Lebersberg-Projekt lobte er die gute Kommunikation unter allen Beteiligten und den pädagogischen Ansatz, Kinder und Jugendliche aktiv in die Naturschutzarbeit einzubeziehen und direkt mit anpacken zu lassen. Das Projekt ergänze den Naturschutzlehrpfad, der an einer anderen Stelle des Ortes entstehe. „Wenn der da ist und sich die Insekten heimisch fühlen, ist es umso besser, wenn es nicht weit davon eine Futterquelle gibt.“

Phillipp und Zentgraf nahmen wohlwollend den Vorschlag von Nadja Moalem vom Biosphärenreservat auf, eine Infotafel am Lebersberg zu installieren. Der Ortsbeirat wird einen entsprechenden Antrag auf Mittel aus dem Gemeindehaushalt stellen.

Am Rande der Veranstaltung warben beide Politiker für das diesjährige Hutzelfeuer, das am 6. März oberhalb des Lebersberges nahe des neuen Funkmastes geplant ist. Der Funkturm des Landes Hessen dient ausschließlich dem Funkverkehr von Rettungskräften über den digitalen BOS-Funk. Es sei schön, dass der Hutzelfeuerplatz als typische Rhöner Kultur zu keinem Zeitpunkt von den Naturschützern in Frage gestellt worden sei. Ganz im Gegenteil. Mit Gemeindebrandmeister Wolfgang Vogler und seiner Jugendfeuerwehr gebe es ein enges Miteinander mit dem Naturschutz – und somit Harmonie am Berg. „Ob da ein Verkauf stattfinden kann, steht auf einem anderen Blatt und hängt von der Pandemie-Lage ab“, erklärte Timo Zentgraf.