Großenlüder | Historiker Andreas Ruhl auf einer spannenden Spurensuche

Auftakt zum großen Jubiläumsjahr „1200 Jahre Großenlüder“

Geschichte – so geheimnisvoll und spannend wie ein Krimi. Nicht nur Bestsellerautoren á la Ken Follett oder Robert Harris beweisen das regelmäßig. Auch geschichtsaffine Heimatforscher wissen uns immer wieder mit spannenden Vorträgen zu fesseln. Jüngstes Beispiel hierfür ist Andreas Ruhl (42), der mit seinem Kurzvor-trag im Garten des Stiftskapitularischen Amtshauses den Veranstaltungsreigen an-lässlich des Jubiläums „1200 Jahre Großenlüder“ eröffnete.

Von Mirko Luis

Bürgermeister Florian Fritzsch dankte in seiner Begrüßung den zahlreichen Aktiven des Kultur-, Heimatund Geschichtsvereins, die sich nicht nur um die Erstellung der Chronik kümmern, sondern auch Teil der gemeindlichen Steuerungsgruppe für das Ortsjubiläum sind und „wahnsinnig tolle Arbeit“ leisten. Fritzsch gab einen Ausblick auf die im Jahr 2022 angedachten Veranstaltungen und äußerte abschließend den Wunsch, dass das Jubiläumsjahr ein Jahr wird, dass „uns näher zusammenbringt und uns immer wieder aufs Neue bewusst macht, wie schön es ist, in unserer lebens- und liebenswerten Gemeinde leben zu dürfen“.

50 Interessierte lauschten der Spurensuche des studierten Historikers Andreas Ruhl. Der Vortragstitel „Wie alt ist Großenlüder wirklich?“ erweckte Neugier. „Da es keine Gründungsurkunde gibt, haben wir nur indirekte Überlieferungen“, so der 1. Vorsitzende des Kultur-, Heimat und Geschichtsvereins der Gemeinde Großenlüder.

Das Erste, was man aufgreifen kann, ist Ruhl zufolge der „Codex Eberhardi“ – ein vom Mönche Eberhard im Auftrag von Abt Markward angelegtes Verzeichnis der zahlreichen Güter und Einkünfte des Reichsklosters Fulda (Mitte des 12. Jahrhunderts). Die heutige Forschung ist überzeugt, dass Eberhard die Wahrheit hier und da im Sinne des Auftraggebers verbog.

„Ob das für Großenlüder auch so war, ist offen. Aber bei einer Sache wird ersichtlich, dass da etwas nicht passen kann“, fand Ruhl heraus. So habe Eberhard die Jahreszahl 850, in der die heutige Pfarrkirche St. Georg ihren historischen Anfang genommen habe, niedergeschrieben. „Die wichtigsten Protagonisten waren zu dem Zeitpunkt schon tot“, führte Ruhl aus.

Gemeint sind Abt Eigil (750 – 822) und der 825 verstorbene Mainzer Erzbischof Haistulph. Beide Protagonisten wurden von Christoph Brouwer, Leiter des Jesuitenkollegs in Fulda, bestätigt und mit dem Kirchenbau in Großenlüder in Verbin-dung gebracht. In einem 1612 erschienenen Buch habe Brouwer allerdings die Zahl 820 als Datum der Weihe der Kirche genannt. Vollzogen vom Mainzer Erzbischof Haistulph, der zuvor schon die Ratgar-Basilika (Vorgängerbau vom Fuldaer Dom) geweiht habe. „Und zwar am 1. November 819, wie wir von Hrabanus Maurus, Mönch und Abt des Klosters Fulda (780 – 856), wissen. Eigil wiederum sei 818 auf seinen Stuhl gekommen. „Das Jahr 820 ist somit plausibel“, so Ruhl. „Entscheidend für das Datum, das wir heute feiern, ist ein dritter großer Name: Johann Friedrich Schannat (1683 – 1739).“ Der habe die Jahreszahl 822 als Zeitpunkt der Weihe der Kirche angegeben. Laut Schannat soll am 15. Januar 822 die Michaelskirche in Fulda und die Kirche in Großenlüder geweiht worden sein. „Der 15. Januar bezieht sich wahrscheinlich nur auf die Michaelskirche, denn der Erzbischof war sicher nicht morgens in Fulda und nachmittags in Großenlüder“, so Ruhl. „Nichtsdestotrotz haben wir ein schönes Datum für den Auftakt unseres Jubiläumsjahres“, so Ruhl. In der wissenschaftlichen Gemeinde verfestigte sich, dass das Gotteshaus in Großenlüder zwischen 819 und 822 geweiht worden sein muss. Ruhls Fazit: „Wir sind ungefähr im richtigen Jahr.“

Im Exklusiv-Interview mit dem Marktkorb nach dem Vortrag lässt Ruhl nicht unerwähnt, dass die 1973 gefeierte 1150-Jahr-Feier in Großenlüder eigentlich ein Jahr zu spät gekommen sei. „Dass man das verschlief, muss wohl mit der Gebietsreform 1972 zu tun haben, die keinen Platz für andere Dinge ließ“, vermutet Ruhl heute. Mit den Heimatforschern, die sich bereits vor ihm mit dem Thema befasst hätten, teile er die Leidenschaft, die fehlenden Teile eines Puzzles zu suchen und dann an den richtigen Stellen einsetzen zu wollen, verdeutlicht Ruhl. Vor den aktiven Mitstreitern im Verein, zumeist einige Jährchen älter als er, zeigt Ruhl Respekt. „Ihren Wissensvorsprung kann ich gar nicht mehr aufholen“, stellt er nüchtern fest. „Denn sie kennen jeden im Dorf und viele Geschichten von früher.“ Umso mehr freut sich der Vereinschef auf die große Chronik anlässlich des 1200-jährigen Bestehens. Sie soll pünktlich zum großen Fest- und Jubiläumswochenende vom 8. bis 10. Juli erscheinen. „Wir sind da schon ein paar Jahre dran, sobald sich ein solches Mammutprojekt dem Schlusspunkt nähert, geht es etwas hektischer und betriebsamer zu“, verrät Ruhl. Lobend erwähnt er in diesem Zusammenhang Hubert Brähler, der sich ähnlich wie der 2. Vorsitzende Thomas Mohr stark einberinge. Ganz vorne bei den Recherchen seien die mit Archivarbeit betraute Montagsgruppe und das von Klaus Schmitt geleitete Heimatmuseum dabei. Nachdem zuletzt der Vor-stand verjüngt worden sei, erhoffe man sich für den Verein im Zuge der Feierlichkeiten Zulauf von neuen Mitgliedern, hofft der Geschichte und Geschichten liebende Impulsgeber Andreas Ruhl.

„Ich hoffe, dass das Jubiläumsjahr ein Jahr wird, dass uns näher zusammenbringt und uns immer wieder aufs Neue bewusst macht, wie schön es ist, in unserer lebens- und liebenswerten Gemeinde leben zu dürfen.“ Florian Fritzsch, Bürgermeister von Großenlüder